Kamp-Lintfort/Hofgeismar. Gaby Tum lebt mittlerweile in Nordhessen. Aber sie liebt ihre Heimatstadt Kamp-Lintfort sehr. Dabei hat sie dort nicht nur Gutes erlebt.

Wir sind um zwölf Uhr mittags zum Telefonat verabredet: „Ich habe gerade erst gefrühstückt“, sagt Gaby Tum. Und schickt schnell erläuternd hinterher: „Ich war heute morgen laufen, da kann ich vorher nichts essen.“ Laufen heißt bei Gaby Tum nicht einmal um den Block rennen, nein, die 71-Jährige läuft Marathon. Gut, seit dem Motorradunfall vor knapp drei Jahren nur noch Halbmarathon, also 21 Kilometer. Der nächste, ihr elfter an diesem Ort, steht im Herbst auf Mallorca an. Aber ihren 25. Marathon mit den vollen 42 Kilometern will sie demnächst doch noch angehen, hat sie sich vorgenommen.

Gaby Tum wohnt in Hofgeismar bei Kassel. Aber das erst seit einigen Jahren. Denn sie ist Kamp-Lintforterin. Und zwar durch und durch. Mit allem, was dazugehört. Groß geworden in der Altsiedlung, der Großvater arbeitete „auf Zeche“, auch der Vater ging zu „Fritzen Henn“, wie der Kamp-Lintforter Pütt bei ihr Zuhause immer genannt wurde.

Trauriges Kapitel

Und sie hat eines der traurigsten Kapitel der Stadt hautnah mit durchlitten: den Verkauf von Siemens an BenQ und die anschließende Pleite. „Fast 40 Jahre war ich bei Siemens. Ich hatte mich auf das Jubiläum schon vorbereitet. Und dann kam der Schock. Das mit dem Verkauf an BenQ kam total unvorbereitet“, erinnert sich die Neu-Nordhessin. „Aber auf einmal wimmelte es überall von diesen kleinen Menschen und ich wusste, die nehmen mir den Job weg.“

Dass ihr das mit dem Jubiläum nicht vergönnt war, schmerzt sie noch heute. „Ich habe alles für Siemens getan, ich bin für den Laden nachts aufgestanden, wenn ein Teil fehlte. Die Produktion musst ja laufen. Und dann kriegt man so einen Tritt in den Hintern“, ärgert sich die fitte Seniorin. Denn das Kapitel mit dem taiwanesischen Konzern währte nicht lang. 1700 Leute standen auf der Straße.

„Danach bin ich erstmal in ein tiefes Loch gefallen, ja, man kann sagen, ich war traumatisiert“, schildert Gaby Tum die erste Zeit nach dem Aus 2008. Da hätten auch die Zahlungen, die es gegeben habe, nicht geholfen. Dabei lief es für sie eigentlich ganz gut. Sie kam in die Auffanggesellschaft, bekam einen befristeten Job bei Aumund in Rheinberg. Dann fand sie noch für sechs Jahre einen guten Job bei der Deutag in Duisburg als Einkäuferin. „Aber nur bei Siemens war es immer schön“, erinnert sich die Kamp-Lintforterin. Mit einigen der ehemaligen Kollegen habe sie sogar noch Kontakt. Man treffe sich mehr oder weniger regelmäßig.

Eine lange Strecke Leben

Nach Hofgeismar ist die 71-Jährige der Liebe wegen gezogen. Aber die vielen Jahre in der ehemaligen Zechenstadt prägen: „Das ist eine lange Strecke Leben, die man nicht einfach wegschieben kann.“ Und die sie nicht wegschieben will. Deshalb ist sie auch in Nordhessen immer noch treue NRZ-Leserin. Die Zeitung, die seit sie denken kann, zu ihrem Leben gehört, kommt per Post. Immer einen Tag später, aber das macht ihr nichts. „Ich lese die Zeitung immer von vorne bis hinten“, erzählt Gaby Tum, „und dann weiß ich, was auf der Welt und in Kamp-Lintfort los ist.“

Gut, manchmal gibt es Lese-Pausen, weil eine ihrer Katzen sich mitten aufs Blatt legt und Aufmerksamkeit verlangt. Aber so verfolgt sie, wie aus der Zechenstadt Kamp-Lintfort eine „strahlende Niederrheinstadt“ geworden ist. Obwohl: „Ich hänge ja immer noch am alten Kamp-Lintfort, auch wenn es bestimmt nicht schlechter geworden ist bis heute.“ Ob das stimmt, kann sie jetzt nachlesen, denn soeben kommt die Post in Hofgeismar und bringt die NRZ.