Kreis Wesel/Niederrhein. Unterfinanziert und eine unklare Krankenhausreform vor Augen: Bei Kliniken am Niederrhein und bei Verdi schrillen die Alarmglocken.
Von Besinnlichkeit keine Spur: Drei Wochen vor Weihnachten und vier Wochen vor Jahresende wächst in den Krankenhäusern landauf, landab die Sorge um die Zukunft. Auch im Kreis Wesel. Was die chronische Unterfinanzierung und die steigenden Kosten anrichten, konnten sie bereits in diesem Jahr an den Insolvenzen mehrerer Krankenhäuser in NRW erleben. Hinzu kommt die Krankenhausreform, die NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bis Ende 2024 auf die Beine stellen und anschließend umsetzen möchte.
Auch am Niederrhein müssen sich die Kliniken überlegen, an welchen Ecken sie sparen können. Denn bis die Reform greife, seien noch mehr Krankenhäuser in die Insolvenz gerutscht oder gar nicht mehr da, sagt der Vorstand der Stiftung Bethanien und Krankenhausdirektor des gleichnamigen Krankenhauses in Moers, Dr. Ralf Engels. Im vergangenen Juni hatte er gemeinsam mit weiteren Krankenhaus- und Verbund-Geschäftsführern im Krankenhaus-Zweckverband Niederrhein auf einem deutschlandweiten Aktionstag auf die prekäre Lage der Krankenhäuser hingewiesen. Passiert sei seitdem nichts.
„Unsere Proteste sind im luftleeren Raum verhallt“, sagt Engels im Gespräch mit der Redaktion. Generell sei die Situation für alle belastend. Man habe einen Personalkostenanstieg von 10,5 Prozent, den man nicht refinanziert bekomme. Der Landesbasisfallwert als Grundlage für die Vergütung der Krankenhausleistungen sei zwar gestiegen, „aber das reicht nicht“, so Engels weiter. Die angekündigte Reform sei frühestens 2028 umgesetzt. Ohne verbesserte Finanzierung schlüpften bis dahin weitere Krankenhäuser unter ein Schutzschirmverfahren. Welche Chancen die Häuser haben, ist laut Engels auch von den Trägerstrukturen abhängig. Kliniken aus einem Krankenhausverbund könnten womöglich auf andere Hilfe zurückgreifen als Einzelhäuser.
Im Fall der Stiftung Bethanien bedeutet dies unter anderem, Bauprojekte zurückzustellen. „Wir müssen uns 2024 auf uns selbst konzentrieren“, kündigt Ralf Engels an, der auch befürchtet, dass der Wettbewerb unter den Kliniken „ungemütlicher“ werden könnte. Dabei kämen die Krankenhäuser im Zweckverband gut miteinander klar, so Engels, aber mittlerweile sei jedes Haus in der Situation, dass man nur noch über Erlössteigerungen nachdenke. „Steigern der Erlöse, Senken des Aufwandes“, das sei „Lehrstoff BWL, erstes Semester“, so Engels weiter. Allerdings habe man „die Zitrone schon so ausgepresst“, dass man den Aufwand kaum noch senken könne.
Die Situation gehe auch nicht an den Beschäftigten spurlos vorüber, sagt der Krankenhausdirektor. „Auf den Fluren und in der Kantine ist schon Verunsicherung zu spüren.“ Allerdings sei er auch verhalten optimistisch. Zwar müsse man gucken, „wie wir uns positionieren“, aber er setze auf die Kreativität und den Innovationsgeist der Bethanier. Und klar sei auch: „Irgendwann muss die Politik reagieren.“
Nicht gegen die Reform
Sowohl Krankenhausdirektor und Stiftungsvorstand Ralf Engels als auch Verdi betonen, dass sie nicht gegen Krankenhausreformen sind. Er habe bereits früher Reformen gefordert. Aber man dürfe die Krankenhäuser dabei nicht alleine lassen, so Engels, angesichts der Finanzierungslücken. Die Unterfinanzierung der Kliniken sei schon mehr als 20 Jahre Thema. Und sowohl Bund als auch Land seien ihrer Verantwortung in dieser Zeit nie gerecht geworden. Die Gewerkschaft Verdi umtreibt bei der Reform vor allem die Frage der Erreichbarkeit. Natürlich müsse nicht überall ein Kernspintomograf stehen, aber gerade bei Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten gehe es um Minuten.
Das sieht auch die Gewerkschaft Verdi so. Die Stimmung sei bereits seit vielen Jahren schlecht, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretär Frowin Jaspers, in den Verdi-Bezirken linker Niederrhein und Duisburg-Niederrhein zuständig für den Bereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft. Personalmangel und Überlastung begleiteten die Pflegekräfte in den Krankenhäusern schon lang. Zudem sorge nun die wirtschaftliche Lage für Unruhe. Sicher sei nicht jede Sorge berechtigt. Maximalversorger und konzerngeführte Krankenhäuser könnten sogar in eine Schwächephase „hineininvestieren“, so Jaspers.
Mit Sorge blickt Verdi allerdings auf Krankenhäuser ohne große Träger im Rücken. „Wie wird da gespart?“, fragt sich Jaspers, der momentan mit Kolleginnen und Kollegen die Krankenhäuser in beiden Bezirken bereist und mit den Belegschaften spricht. „Wir werden in den Verteidigungsmodus kommen müssen“, kündigt Jaspers an. Dann etwa, wenn Weihnachts- oder Urlaubsgeld bedroht sind, oder noch mehr, wenn Teile des Personals in kleinere Gesellschaften ausgegliedert werden sollen und dadurch Gehaltseinbußen in Kauf nehmen müssten. Meistens seien davon die Personalteile betroffen, die ohnehin schon wenig verdienten, so Jaspers, zum Beispiel Reinigungskräfte oder Mitarbeitende in der Küche. Dabei gehe es nicht um Pfründe, die verteilt würden, so der Gewerkschaftssekretär, „es geht um Existenzen“.