Iserlohn. Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, besuchte seine alte Heimat und nahm bei der 34. Iserlohner Winteruni kein Blatt vor den Mund.
Selten bei den 34 Auflagen der Iserlohner Winteruniversität, die am Montagmorgen in der UE am Seilersee gestartet ist, besaß ein Vortrag eine solche Aktualität, wie der von Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr. Während die Nato im Rahmen der größten Militärübung seit 36 Jahren den Ernstfall probt, auch 12.000 deutsche Soldaten werden teilnehmen, referierte Breuer unter dem Thema „Die Bundeswehr nach der ,Zeitenwende‘“ über Herausforderungen und Aufgaben der Truppe.
„Werte“ als Themenschwerpunkt der Winteruniversität
Bürgermeister Michael Joithe begrüßte den 1964 in Oestrich geborenen Breuer, der mit seiner Familie in Potsdam lebt, und dankte den Organisatoren der Winteruni: Kerstin Gralher von der Evangelischen Akademie Villigst, Christoph Neumann vom „Weltenraum“ und Rainer Danne, Leiter der Iserlohner Volkshochschule.
„Können Sie Krieg? Können wir Krieg?“ Die ersten Worte des Generalinspekteurs verfehlten ihre Wirkung nicht. Krieg – Deutschland – zwei Dinge, die in den Köpfen der Bundesbürger lange Zeit nicht zusammengehörten. Dann läutete der Angriff Russlands auf die Ukraine die von Kanzler Olaf Scholz beschworene „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik ein. Parallel dazu müsse nun auch in der deutschen Bevölkerung eine „Gedankenwende“ einsetzen, so Breuer.
„Strategische Gelassenheit“ kann sich Deutschland nicht mehr leisten
Sein Fazit: Seine „strategische Gelassenheit“ könne sich Deutschland nicht mehr leisten. Breuer stellte die provokante Frage: „Sind wir so auf Friedensdividende getrimmt, dass wir das Nachdenken über die eigene Sicherheit verlernt haben?“ Die Zukunft sei ungewisser denn je: „Die europäische Friedensordnung ist perdu. Russland hat diese mit einem Schlag zerstört“, so Breuer. Die Lösung könne nicht sein, „den Kopf in den Sand zu stecken und zu denken: Irgendjemand, sprich die Amerikaner, werden‘s schon richten.“ Die Zeit der „Scheckbuchpolitik“ sei vorbei.
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„Wir können nicht sicher sein, dass der Frieden in Europa bestand hat“, so Breuer. Es gelte im Kriegsfall „die Freiheit und Sicherheit unserer Familien zu verteidigen.“ Der Krieg in der Ukraine und der Terroranschlag in Israel zeige, dass „wir nicht länger wegsehen können, um unsere Freiheit zu bewahren“. Es brauche Veränderungen, „damit wir uns das wohlige Gefühl der Harmonie auch in Zukunft leisten können.“ Ziel sei die „glaubhafte Abschreckung“, so Generalleutnant Breuer.
Voraussetzung dafür sei, überhaupt Krieg führen zu können. „Unser Ziel ist es, kriegstüchtig zu sein – zu Land, in der Luft, zur See und im Cyberraum“, so Breuer. Das sei eine Voraussetzung, um Verantwortung übernehmen zu können: „Verantwortung für uns selbst, für die Nachbarn in Europa und für die Welt.“ Es sei wichtig, „kämpfen zu können und gewinnen zu wollen, weil wir gewinnen müssen. Es gibt keine Alternative zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Europa“, so Breuer.
Im Gegensatz zu den letzten Jahren, wo man mit der Schaffung einer Berufsarmee, die Verteidigung „ausgesourcte“ habe, trügen heute alle Verantwortung für die Sicherheit und Freiheit in Europa. „Deshalb sind alle Bürger eines Staates die geborenen Verteidiger des Landes“. Das heiße jedoch nicht, dass „jeder eine Waffe in die Hand nehmen“ müsse. Es sei nicht Schlimmes daran, als Gesellschaft wehrhaft zu werden, so Breuer, höchste Maxime sei weiterhin das Friedensgebot in Artikel 87 a des Grundgesetzes. Jedoch gelte: „Im Falle eines Krieges müssen wir durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein“, meinte Oberst Jonas Uhrlau, der Sohn des früheren Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes Ernst Uhrlau, der Breuer begleitete. Denn nur so können man in eine „Position der Stärke und der Verhandlungsfähigkeit kommen.“
Das schwedische Modell zur Personalgewinnung
Mehr Personal bedeute aber nicht, dass man über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nachdenke. „Die Wehrpflicht ist nicht die Lösung der Personalprobleme der Bundeswehr“, meinte der Generalinspekteur. Vielmehr sei das „schwedische Modell“ denkbar. Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende freiwillig den Grundwehrdienst.
In der anschließenden Diskussion war auch die mangelhafte Ausstattung der Bundeswehr ein Thema. Man habe zwar jetzt das 100 Milliarden-Euro-Sondervermögen, dass die Regierung für die Modernisierung der Bundeswehr aufgelegt hatte, aber trotzdem brauche alles Zeit. „Wir haben das Beschaffungswesen verändert und den Prozess um die Hälfte verkürzt, aber selbst dann muss es erst noch produziert werden, und das kann bei einem Panzer schon mal zwei Jahre dauern“, so der Generalinspekteur. Auch die Causa Trump bewegte die Iserlohner: Eine solche Trump-Gefahr sei ein Grund mehr, sich als Europäer unabhängiger von den USA aufzustellen. Beim Thema „Atomare Abschreckung“ führe jedoch am großen Bündnispartner kein Weg vorbei.
Wo sollen wir im Kriegsfall denn hin?
Eine weitere Frage, die die Iserlohner bewegte: „Was ist im Angriffsfall? Wo sollen wir denn da hin?“, wollte eine Besucherin angesichts fehlender Schutzräume in der Waldstadt wissen. Man sei dabei, den Zivilschutz, den man nach 1989 vernachlässigt habe, wieder anzustoßen. „Es laufen Planungen, um das wieder auf feste Beine zu stellen“, so Breuer.