Herne. . Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Störungen nimmt jährlich zu. Dahinter stecken Schicksale. Menschen, die von diesen Krankheiten betroffen sind, leiden häufig unter Ausgrenzung. In Herne erhalten sie Hilfen vom Verein Nachbarn e.V..
Dessen Mitarbeiter und Helfer halten seit 1985 ein vielfältiges und effektives Angebot bereit, um negative Begleiterscheinungen von psychischen Leiden zu mildern. Der stellvertretende Vorsitzende und Sozialarbeiter Raimund Schorn-Lichtenthäler: „Wir sehen uns als Verein mit all seinen vielen Facetten auch für die Zukunft bestens aufgestellt.“ Man sei „gut auf Zack, gut organisiert“, verfüge über einen stabilen Vorstand und entsprechend gesunde Verhältnisse.
Schorn-Lichtenthäler – er ist Mitarbeiter der Stadt Herne, arbeitet beim sozialpsychiatrischen Dienst im Fachbereich Gesundheit – sieht die Stabilität vor allem als Folge des innerorganisatorischen Umbaus vor etwa zehn Jahren. „Damals haben wir begonnen, unsere Arbeit auf eine professionelle Basis zu stellen, ohne die Ehrenamtlichen aufzugeben.“ Dieser Kraftakt lohnte sich.
Eine gute Mischung der Aktiven
„Wir haben eine gute Mischung gefunden.“ Mittlerweile hat der Verein – er ist bestens vernetzt, wird u.a. von Stadt und Banken unterstützt, kooperiert mit dem Landschaftsverband Westfalen Lippe, der Gesellschaft für freie Sozialarbeit und wird vom Job Center gefördert – 100 Mitglieder. Darunter sind 40 Aktive, die sich aus 20 Hauptamtlichen und 20 regelmäßig ehrenamtlich Tätigen zusammensetzen. „Gerade diese sind nicht selten ehemalige Teilnehmer unserer Aktivitäten.“
Auch die Nutzerfrequenz kann sich sehen lassen. So gibt es in den verschiedenen Einrichtungen der „Nachbarn“ einen täglichen Kontakt mit 100 Gästen, Teilnehmern. Der Ursprung des Vereins Mitte der 80er Jahre kommt nicht von ungefähr. „Damals gab es einen Aufbruch in der Psychiatrie. Man erkannte die Notwendigkeit, Menschen wohnortnah zu versorgen: niederschwellig.“ Ein entsprechendes Angebot gab es bis dato noch nicht. Keimzelle des Vereins wurde deshalb das Gebäude an der Plutostraße 4. Dort entstand die Kontakt- und Begegnungsstätte, „unsere Anlaufstelle, jeder Mensch ist hier willkommen“. Von Anfang an wurde Wert auf Niederschwelligkeit gelegt. So konnte sich wer wollte unterhalten – oder auch nicht und natürlich einen Kaffee trinken. „Dafür musste niemand einen Antrag stellen“, lacht Schorn-Lichtenthäler.
Beschäftigungs- und Arbeitsmarktprojekte
Heute gibt es hier Frühstück und Mittagessen, finden Beschäftigungs- und Arbeitsmarktprojekte für das Job Center statt wie Mal-, Holz- oder Nähstube. Rund 36 Projektteilnehmer – an Plutostraße und Sodinger Amtshaus – sind dabei. Für sie ist das Entwickeln von individuellen Lösungsperspektiven ganz wichtig. Allerdings funktionieren die allgemein gängigen Konzepte des Förderns und Forderns nur eingeschränkt. So ist häufig bei Menschen, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, keine konkrete berufliche Perspektive aufzeigbar.
Dank des intensiven Kümmerns, so Schorn-Lichtenthäler, erhielten diese Menschen mit besonderem Behandlungshintergrund aber die Möglichkeit, zu sehen, wo sie gesundheitlich und arbeitsmarktmäßig stehen. Das funktioniert: „Unsere Projekte sind zu 100 Prozent ausgebucht, das Job Center ist sehr zufrieden.“ Zudem werden im Rahmen der Arbeitsmarktprojekte weitere Tätigkeiten durchgeführt wie Malerarbeiten, Außenanlagepflege, Verkauf der hergestellten Artikel auf Märkten (Buschmannshof). Allerdings läuft alles streng nach den Vorgaben der Gemeinnützigkeit. „Wir nehmen keine Aufträge an, die anderen Firmen Konkurrenz machen“, stellt der stellvertretende Vorsitzende klar.
Neben der Keimzelle an der Plutostraße 4, „unserem ersten und traditionellen Standbein“, so Raimund Schorn-Lichtenthäler, hat der „Nachbarn“-Verein auch sein Angebot kontinuierlich erweitert.
Teilstationäre Einrichtung an der Gerichtsstraße
So konnte die Tagesstätte für Menschen mit psychischen Behinderungen, die 2000 eröffnete, im Jahr 2010 in eine alte Stadtvilla an der Gerichtsstraße 15 umziehen. Ein gemischt-professionelles Team fördert in dieser teilstationären Einrichtung, die vom LWL Westfalen-Lippe finanziert wird, 25 Menschen an fünf Tagen in der Woche. Hier wird den Besuchern geholfen, ihr Leben selbst zu gestalten, Klinikaufenthalte zu verkürzen oder zu vermeiden und ihre Krankheit besser zu verstehen. In dieser Einrichtung gilt nicht die Niederschwelligkeit wie an der Plutostraße.
Seit März 2012 sind die „Nachbarn“ auch anerkannter Anbieter für das „ambulant betreute Wohnen“. Hier steht den Betroffenen ein fester Ansprechpartner mit Rat und Tat zur Seite, um ihnen bei der Regelung der alltäglichen Dinge des Lebens zu helfen. In Kooperation mit der Herner Wohnungswirtschaft sind vier Nachbarschaftstreffpunkte entstanden. So erhalten die Bewohner in ihrer Nachbarschaft kleinräumige Treffpunkte, in denen Kontakte gefördert, Hilfen angeboten, das Zusammenleben unterstützt wird.
Begegnungsstätten in den Wohnquartieren
Diese Mini-Begegnungsstätten finden sich Am Amtshaus 6, an der Beethovenstraße 1, am Hülsmannsweg 4c und an der Berliner Straße 5-15. An der Berliner Straße wurde mit einem Beschäftigungsprojekt ein altes Waschhaus im Hof eines Wohnquartiers hergerichtet. Am Umbau beteiligt war THS, heute Vivawest. Schorn-Lichtenthäler: „Das Waschhaus läuft gut. Hier wird auch mal ein Mittagessen gekocht, gibt es Mieterberatung. Im Sommer kann man schnuckelig draußen sitzen.“ Da schauen dann mal gerne ältere Damen zum Frühstück vorbei.
Ein echtes Aufatmen bescherte dem Verein vor drei Jahren die Einstellung von Buchhalterin Sabine Kuns. Sie erledigt das Kaufmännische und die Verwaltung – zur Zufriedenheit aller. „Das ist eine echte Entlastung des Vorstands, der ging nämlich auf dem Zahnfleisch.“