Herne. . Die beiden großen Kirchen in Herne beklagen einen Aderlass: Immer mehr Christen kehren der katholischen und der evangelischen Kirche den Rücken. Eine Folge: Die Gemeinden schrumpfen immer weiter. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht abzusehen.

Insgesamt 410 Katholiken haben im vergangenen Jahr im Dekanat Emschertal ihrer Kirche den Rücken gekehrt und sind ausgetreten. Das teilte Ägidius Engel, Pressesprecher des Erzbistums Paderborn, auf Anfrage der WAZ mit. Zum Dekanat Emschertal gehört neben Herne und Wanne-Eickel auch Castrop-Rauxel.

Die Zahl der Kirchenaustritte im Dekanat hat sich damit im Vergleich zu 2012 fast verdoppelt: Im dem Jahr verabschiedeten sich insgesamt 220 Mitglieder aus der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Über die Gründe lassen sich nur Vermutungen anstellen, heißt es. Die wenigsten, die austreten, äußern sich darüber gegenüber den Gemeinden, dem Dekanat oder dem Bistum.

Skandal um Tebartz-van Elst

„Das Jahr 2013 fing für uns schon schlecht an“, sagt Ägidius Engel. „Da ging es um die Diskussion der ,Pille danach’ und das Verhalten des Erzbistums Köln.“ Zum Hintergrund: Damals hatten es zwei katholische Krankenhäuser in Köln abgelehnt, einer jungen Frau nach einer Vergewaltigung die „Pille danach“ zu verschreiben, was zu einer Grundsatzdebatte rund um das Thema geführt hatte.

Als noch größeren Auslöser sieht Engel allerdings den Skandal um Bischof Tebartz-van Elst und den teuren Limburger Bischofssitz: „Wir werden in solchen Fällen immer in Mithaftung genommen“, so Ägidius Engel. Auch die sehr große Zustimmung für Papst Franziskus könne die Austritte nicht wettmachen. Insgesamt sind im Erzbistum Paderborn im Jahr 2013 genau 8356 Katholiken aus der Kirche ausgetreten, 2012 waren es 4879. Mit 1 581 343 Katholiken ist Paderborn das fünftgrößte unter den 27 Bistümern in Deutschland.

Das Dekanat Emschertal zählte im vergangenen Jahr 77 198 Kirchenmitglieder, davon 28 075 in Herne, 23 525 in Wanne-Eickel und 25 598 in Castrop-Rauxel. Die Mitgliederzahlen entwickeln sich allerdings seit Jahren rückläufig: So gab es im Jahr 2005 im Dekanat noch 84 369 Katholiken.

Es wird nicht differenziert

Auch ohne eine Diskussion um die Verschreibung der „Pille danach“ und ohne einen Tebartz-van Elst-Effekt sieht die Situation auf Seiten der evangelischen Kirche keineswegs besser aus: Vor zwei Jahren verzeichnete der Kirchenkreis Herne/Castrop-Rauxel, der nahezu flächengleich ist mit dem Dekanat Emschertal, 344 Kirchenaustritte, im vergangenen Jahr waren es genau 427. „Unsere Kirchenmitglieder treten leider auch aus, wenn sie sich über Vorkommnisse in der katholischen Kirche ärgern“, sagt Superintendent Reiner Rimkus. „Da wird nicht differenziert.“ Auf der anderen Seite gebe es jedes Jahr etwa 70 Eintritte beziehungsweise Neuaufnahmen.

Verluste durch Bevölkerungsentwicklung

Der Rückgang der Mitglieder in den beiden großen christlichen Kirchen ist nur zum Teil auf Austritte zurückzuführen. Sorgen bereiten auch die „Verluste über alles“, wie es Reiner Rimkus formuliert: Zum einen versterben mehr Kirchenmitglieder als neue durch Taufe oder Eintritte aufgenommen werden, zum anderen ziehen auch mehr evangelische Mitglieder aus Herne fort als neue zuziehen. „Wir rechnen mit einer Fortsetzung dieser Tendenz“, so der Superintendent. Der Kirchenkreis verliere so im Schnitt pro Jahr etwa 1200 Gemeindeglieder. Aktuell zähle der Kirchenkreis zurzeit ziemlich exakt 70 000 Zugehörige.

Auch das Emschertal-Dekanat rechnet mit einem weiteren Rückgang seiner Mitgliederzahlen, allerdings auf niedrigerem Niveau. So verlor das Dekanat von 2011 auf 2012 1013 Mitglieder, von 2012 auf 2013 waren es 736 Mitglieder. Dennoch: Sollte sich diese Entwicklung gleichbleibend fortsetzen, rechnet Dekanatsreferent Heinz Otlips damit, dass 2020 noch 70 027 Katholiken im Dekanat Emschertal leben, 2025 könnte die Zahl bei 64 905 liegen. „Und das sind noch“, so Heinz Otlips „optimistische Zahlen.“