Herne. . Hubert Glasmacher verlor am 23. Februar 1945 seinen Vater, überlebte aber selbst im Bunker an der Karlstraße. Über 200 Todesopfer gab es in Wanne-Eickel.
Für Hubert Glasmacher war die Endphase des Zweiten Weltkrieges besonders schlimm, weil er seinen Vater verlor. Zusammen mit Mutter und Schwester war er zwar 1943 zunächst ins sichere Pommern evakuiert worden, das heute zu Polen gehört. Auf Grund der immer näher rückenden Ostfront flüchteten die Drei aber 1945 nach Wanne-Eickel zurück – mit Hilfe ihres Vaters und Ehemannes, der ebenfalls Hubert hieß. Er arbeitete bei der Reichsbahn und musste somit nicht in eine Soldatenuniform schlüpfen.
Bombenschäden beheben
„Der Vater war ständig im Dienst, besonders, um Bombenschäden zu beheben. Nach jedem Angriff kontrollierte er kurz, ob das Haus getroffen war und ging dann zurück zur Bahn“, erinnert sich der heute 78-jährige Hubert Glasmacher junior. „Am 23. Februar 1945 erlebte Wanne-Eickel den schwersten Angriff des Krieges mit weit über 200 Todesopfern. Es war 15 Uhr, die Läden hatten soeben geöffnet, die Menschen hasteten mit ihren Lebensmittel- und Kleiderkarten los, immer auf dem Sprung, doch auch in der Hoffnung, auf die Schnelle irgendeine Zuteilung zu ergattern. Plötzlich, wie so oft in letzter Zeit, waren der Flugmeldedienst und das Warnsystem mal wieder zusammengebrochen. Gleichzeitig mit den Heultönen der Sirenen fielen die ersten Bomben wie fürchterliche Paukenschläge. Hastig rannten wir zu unserem Bunker an der Karlstraße. Metzgermeister Drepper, er hatte die Bunkeraufsicht, war dabei, die Türen zu schließen. Eine Minute später, und wir hätten vor dem verschlossenen Bunker gestanden. Das hätte unseren sicheren Tod bedeutet, denn die Bomben schlugen links und rechts neben dem Bunker ein.“
Der Tankstellenbesitzer Wilhelm Pfingstmann hatte sich einen eigenen Bunker im Hof seines Hauses an der Ecke der Bickernstraße/Am Mühlenbach gebaut. Das sollte ihm und anderen zum Verhängnis werden. Hubert Glasmacher fasst das tragische Ereignis an diesem denkwürdigen 23. Februar 1945 zusammen: „Mein Vater war auch in den Bunker geflüchtet. Etwa 30 Menschen waren im Nu dort versammelt. Der Dachdecker Otto Koziobski reparierte gerade das Dach der Brotfabrik Schweitzer, als der Bombenhagel begann und ihn zwang, seinen luftigen Standort so schnell wie möglich zu verlassen. Aber wenn einer glaubt, dass es von der Bickernstraße 3 zur Nummer 2 quer über die Straße nur ein Katzensprung war, der hat noch nie erlebt, dass sich unüberwindliche Mauern auftürmen können. Auf allen Vieren kroch der Dachdecker bis zu Pfingstmanns Bunker. ,Wo kommst du denn noch her?’, hörte er Pfingstmann fragen. Doch als Antwort keucht er nur: ,Leute, wenn ihr hier rauskommt, kennt ihr Wanne nicht mehr.’ Das waren die letzten Worte, die gesprochen wurden. Mit aller Wucht ging eine Bombe an der verwundbaren, nicht so stark wie die Decke abgesicherten Seitenwand nieder. Wilhelm Pfingstmann, der an der Eingangstür stand, wurde durch den Bunker gewirbelt. Einem Tornado gleich, schoss der ungeheure Luftdruck in den Raum und ließ ihn zusammensacken. Ein entsetzliches Schreien erhob sich im Innern. Eine zweite Bombe kam und hob den gesamten Bunker in die Höhe. Sobald wie möglich kamen Helfer, die mit vereinten Kräften alle Lebenden retteten und die Leichname bargen. An der Tankstelle aufgebahrt lagen die Toten – darunter auch mein Vater, der dort Unterschlupf gesucht hatte.“
Sohn Hubert überlebte den Bombenangriff im Hochbunker unbeschadet – samt Mutter und Schwester, aber: „Im Bunker herrschte eine unbeschreibliche Panik. Jeder hatte Angst vor dem, was er nach dieser Katastrophe zu Hause vorfinden möge. Der Weg zu unserer Wohnung führte durch ein Inferno. Viele Häuser brannten, keines war unbeschädigt.“
Zunächst wusste die Familie nicht, was mit dem Vater passiert war. „Unser Nachbar Paul Gabski tröstete meine Mutter mit den Worten: ,Ihr Mann kommt sofort nach dem Angriff und sieht nach dem Rechten.’ Doch wir warteten vergebens. Es wurde Abend, und wir warteten und warteten. Wir wollten es nicht glauben, aber es war etwas Schlimmes passiert. Die Nacht brach an, und der Vater fehlte uns.“
Suche nach dem Vater
„Für unsere Mutter brach eine Welt zusammen. Zwei Brüder meines Vaters waren schon vom Militär zurück, diese begaben sich am nächsten Tag auf die Suche nach ihrem Bruder, unserem Vater. In den zuständigen Krankenhäusern fanden sie ihn nicht, also suchten sie in den Leichenhallen. In der Leichenhalle auf dem Waldfriedhof fanden sie ihn endlich, mit dem Vermerk ,unbekannt’, obwohl er seinen Ausweis in der Tasche hatte.“
Selbst das Begräbnis am 26. Februar 1945 auf dem Laurentiusfriedhof war von den Schrecken des Krieges geprägt. „Während der Beerdigung wurden wir von britischen Tieffliegern beschossen. Ich weiß nur noch, dass ich mich platt auf dem Boden versteckte, hinter einer Hecke.“