Herne. Ein Harnleiter wurde einer Hernerin bei einer Operation im Herner St.-Anna-Hospital verletzt. Die Folge: bleibende Schäden und etliche stationäre Behandlungen im Krankenhaus. Um aus der Opferrolle herauszukommen klagte die 56-Jährige gegen die Klinik. Sie erhielt 200.000 Euro Schmerzensgeld.

Zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 200.000 Euro an eine Hernerin (Name der Redaktion bekannt) hat sich das St.-Anna-Hospital im August 2013 vor dem Landgericht Bochum verpflichtet. Eine stattliche Summe, doch ihre Gesundheit kann sich die 56-Jährige davon nicht zurückkaufen: Im Anna-Hospital wurde bei ihrer Unterleibsoperation ein Harnleiter verletzt. An den Folgen wird sie für den Rest ihres Lebens leiden.

Nach einer Bedenkzeit hat sie sich jetzt entschieden, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Nicht um sich über ihr persönliches Schicksal zu beklagen. Sondern: „Ich will anderen Patienten Mut machen, sich ebenfalls zu wehren.“

Verfahren „nicht sachgerecht“

Ein Blick zurück. Auf Empfehlung ihrer Frauenärztin begibt sich die Hernerin im September 2010 in die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des St.-Anna-Hospitals in Wanne, um ihren linken Eierstock entfernen zu lassen. Eine große Zyste hat die Ärztin diagnostiziert und wegen eines Krebsverdachts zu einer Entfernung des Eierstocks geraten.

Bei der Hernerin werden schlimme Erinnerungen wach: „2002 sind mir bei einer Gebärmutteroperation im Evangelischen Krankenhaus in Herne beide Harnleiter durchtrennt worden.“ In einer Nachoperation in einer Klinik in Bochum können schlimmere bleibende Schäden verhindert werden.

Angst ist geblieben

Was geblieben ist, das ist die Angst. Nach der Einweisung ins Anna-Hospital im Jahr 2010 zerstreut der Chefarzt jedoch im persönlichen Gespräch ihre Bedenken. Sie folgt seinem Rat, nicht nur den linken, sondern auch den rechten Eierstock entfernen zu lassen. Bei dem Eingriff passiert es erneut: Ein Harnleiter wird verletzt.

Nach der Operation klagt die Hernerin über starke Schmerzen, erbricht sich. Ihr Zustand verbessert sich nicht. Erst am nächsten Tag wird sie in die urologische Abteilung des Evangelischen Krankenhauses Witten verlegt, wo weitere Eingriffe erfolgen. Zahlreiche Klinikaufenthalte schließen sich an – bis heute.

"Du musst aus der Opferrolle heraus"

Ende 2010, wenige Monate nach der Operation, fasst sie den Entschluss, ihr Schicksal nicht einfach hinzunehmen und geht zum Anwalt: „Ich habe mir gesagt: Du musst aus der Opferrolle heraus.“ Sie erhebt Klage gegen das Anna-Hospital und den Chefarzt.

Der vom Landgericht Bochum bestellte unabhängige Sachverständige kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass „die Auswahl des Operationsverfahrens nicht sachgerecht vorgenommen wurde“. Das aufgrund der Vorgeschichte bestehende höhere Risiko sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auch das stellt der Sachverständige fest: Die Verlegung in die Urologie-Abteilung im Evangelischen Krankenhaus in Witten hätte eher erfolgen müssen.

Erheblichen Störungen bei der Blasenentleerung

Und heute? Die 56-Jährige leidet unter erheblichen Störungen bei der Blasenentleerung. „Das wird sich nicht mehr bessern“, sagt sie. Dreimal am Tag muss sie sich einen Katheter setzen. Die Infektionsgefahr hat stark zugenommen, immer wieder muss sie zur stationären Behandlung ins Krankenhaus.

Trotz ihrer Leidensgeschichte strahlt sie Stärke und Lebensfreude aus, ist trotz der gesundheitlichen Einschränkungen alles andere als verbittert. Auch dem inzwischen nicht mehr am Anna-Hospital beschäftigten Chefarzt macht sie keine persönlichen Vorwürfe. „Er hat mir geschrieben, dass es ihm leid tue“, berichtet sie. Das nehme sie ihm ab.

Krankenhaus äußert sich nicht

Zweieinhalb Jahre dauerte ihr Kampf um Gerechtigkeit. Ein Kampf, den sie auch anderen Patienten, denen Schlimmes widerfahren ist, empfiehlt. Mit einer Einschränkung: „Ohne Rechtsschutzversicherung wäre ich diesen Weg niemals gegangen.“

Das Anna-Hospital wollte sich auf Anfrage der WAZ nicht zu dem Fall äußern.

Krankenkassen-Gutachter sah keinen Fehler 

Nach dem Eingriff im St.-Anna-Hospital informierte die 56-Jährige auch ihre Krankenkasse, die Barmer GEK. Auf Bitte des Anwalts der Hernerin habe man den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) um Prüfung gebeten, erklärt Sara Damirchi, Sprecherin der Barmer GEK, auf Anfrage. Der MDK sei aber zum Schluss gekommen, dass ein Behandlungsfehler hier nicht zu erkennen sei.

Das Einschalten des MDK sei in solchen Fällen üblich, so Damirchi. Dieser verfüge mit Ärzten über die „notwendige medizinische Expertise“, um ein Gutachten zu erstellen. Es komme aber durchaus vor, dass gerichtlich bestellte Sachverständige zu einem anderen Ergebnis kämen als MDK-Gutachter.

Nachdem man vom Vergleich mit dem St.-Anna-Hospital erfahren habe, habe man „weitere Schritte“ gegen das Krankenhaus eingeleitet, so die Sprecherin. Dazu seien sie im Interesse der Versichertengemeinschaft verpflichtet. Da die Kostenermittlung noch nicht abgeschlossen sei, könne sie zurzeit keine Aussage zur Summe einer Regressforderung machen.

„Wir bedauern, dass unsere Versicherte einen solchen Gesundheitsschaden erlitten hat“, sagt Sara Damirchi. Die Barmer GEK habe im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles dafür getan, den Schaden zu beheben bzw. zu lindern.