Herne. Der Steuerfall des Uli Hoeneß ist derzeit in aller Munde. Der Macher des FC Bayern wurde zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Vor einigen Jahrzehnten sorgte ein Fall von Steuerhinterziehung im Ruhrgebiet ebenfalls für großes Aufsehen: Nämlich der des Erhard Goldbach.

Von einer Steuerschuld in Höhe von 28,5 Millionen Euro ging das Landgericht München im Urteil gegen Uli Hoeneß aus. Das sind fast „Peanuts“ im Vergleich zu dem, was Erhard Goldbach einst bei Seite schaffen ließ. Eine Erinnerung an den „Ölkönig aus Wanne-Eickel“ und an den bis heute größten Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Bayern-Präsident Willi Neudecker schnaubte tief aus: „Schickt uns diesen Mann nach München. Wir können ihn gut gebrauchen“, rief er spontan aus, beeindruckt von der Initiative und Tatkraft des Unternehmers aus dem Ruhrgebiet: Doch Erhard Goldbach winkte gelassen ab.„Ich habe mir in Herne eine Aufgabe gestellt und werde diese erfüllen“, verkündete er stattdessen. Der Ölkönig von Wanne-Eickel an der Säbener Straße beim FC Bayern München? Die Fußballgeschichte wäre anders verlaufen. Allein deswegen, weil damals noch ein gewisser Uli Hoeneß im Dress der Bajuwaren über den Platz stürmte.

Erhard Goldbach, einstiger Ölkönig von Wanne-Eickel und Boss von Westfalia Herne.
Erhard Goldbach, einstiger Ölkönig von Wanne-Eickel und Boss von Westfalia Herne. © Archiv Ralf Piorr

Wie die Mission in Herne lautete, daraus machte Erhard Goldbach keinen Hehl: Erste Bundesliga! Westfalia war für ihn die Spielwiese der Eitelkeit, und die ließ er sich einiges kosten: „Der Scheck belief sich immer so auf 200.000 bis 300.000 Mark − im Monat! Hinterher bei Gericht ging es um zwei bis drei Millionen, die er hineingesteckt haben soll in den Verein. Für mich waren das zehn bis zwölf Millionen“, erzählt Werner Eversberg, der als Verbindungsmann zwischen Mäzen und Verein fungierte.

Für den sportlichen Erfolg wollte Goldbach von den Besten lernen. So setzte er als erster eine Idee in die Tat um, die von Bayern-Präsident Neudecker stammte: die Verselbstständigung der Fußballabteilung. So wurde im Juni 1977 der „SC Westfalia 04 Goldin Herne“ aus der Taufe gehoben und Goldbach einstimmig zum Vorsitzenden und Präsidenten gewählt.Über den neuen Wind am Schloss Strünkede titelte die „Fußball-Woche“ anerkennend: „Wohl dem, der einen Goldbach hat“.

„Robin Hood der Zapfsäule“

„Sparen – Goldin fahren!“ Unter diesem Motto hatte der ehemalige Kohlenhändler Ende der 1970er Jahre die größte Tankstellenkette im Revier aufgebaut. „Immer zwei Pfennig billiger als die anderen“ lautete seine Devise. Im Schatten der ersten Ölkrise 1973 und den autofreien Sonntagen profilierte sich Goldbach mit seinen „freien“ Tankstellen im Kampf mit Konzernen wie Shell und Aral zum „Robin-Hood der Zapfsäule“ und katapultierte seinen Jahresumsatz von 1973 bis 1978 von 162 Millionen auf rund zwei Milliarden Mark.

800.000 Liter Benzin lieferte Goldin-Kette täglich an ihre Tankstellen.
800.000 Liter Benzin lieferte Goldin-Kette täglich an ihre Tankstellen. © Archiv Ralf Piorr

Das Handicap: Spätestens seit Mitte der 1970er Jahre basierte Goldbachs Imperium auf systematischem Wirtschaftsbetrug. Mit Tricks und Manipulationen wurden ganze Schiffsladungen Sprit vorbei an Zoll und Fiskus verhökert. Täglich lieferte die Goldin-Kette rund 800.000 Liter an ihre Tankstellen, beim Zoll wurde aber nur ein Viertel davon gemeldet. Monika Obgartel, die Geliebte des Chefs, kassierte die Tageseinnahmen etlicher Tankstellen in bar und ohne Quittung ab. Das Geld wurde bündelweise in den im Kofferraum ihres Autos eingebauten Tresor geschmissen und dann über diverse Wege in die Schweiz geschafft.

Seine krummen Geschäfte flankierte der Unternehmer mit einem großen Landgut im Bergischen und einem Puff in Rösrath. Opulente Treibjagden und nette Animierdamen aus dem „Club Harmonie“ machten kleine Beamte und große Politiker gefügig. Manchmal mussten auch rabiatere Mittel eingesetzt werden. Als ein Herner Amtsleiter unbedingt eine Wildsau schießen wollte, die Rotte aber verschwunden war, wurde kurzerhand ein friedliches Hausschwein mit schwarzer Farbe in eine Wildsau verwandelt und vor die Büchse des Gastes getrieben. Als Dank wurde bei der nächsten Umweltschutzinspektion wieder geflissentlich weggeschaut.

Steuerschuld von 360 Millionen Mark

Aus der burlesken Schwarzgeld-Produktion wurde bald eine hektische Achterbahnfahrt. Die Preise für Benzin auf dem Rotterdamer Markt kletterten in astronomische Höhen. Goldbach war gezwungen, Spitzenpreise zu bezahlen, wollte aber seine Kampfpreise an der Zapfsäule nicht aufgeben. Letztlich verscherbelte er Benzin unter Wert. Die Rettung waren die 44 Pfennig Mineralölsteuer, die der Autofahrer pro Liter mitbezahlte, die aber der Unternehmer aufgrund der Gesetzeslage nicht sofort an den Staat abführen musste. Diesen zinslosen Kredit reizte Goldbach aus.

„Goldbach galt im Finanzministerium in Bonn als Heilige Kuh“, sagt Paul Postulka von der Zollfahndung Dortmund. Schon seit Jahren hatte er den Betrieb in Wanne-Eickel im Visier, durfte aber auf „Weisung von oben“ nicht ermitteln. So folgte Steuerstundung um Steuerstundung. Erst im Frühjahr 1979 wurde die Beweislast erdrückend. Am Morgen des 24. Juli 1979 führte die Zollfahndung unter Leitung von Postulka auf dem Geschäftsgelände an der Heerstraße eine Razzia durch. Unterlagen wurden beschlagnahmt, leitende Angestellte verhaftet. Erhard Goldbach floh und wurde per Interpol und „Aktenzeichen XY“ gesucht. Im Februar 1980 gelang seine Festnahme. Fünf Jahre später erfolgte seine Verurteilung. Der Traum vom Ölkönig und dem billigsten Sprit aller Zeiten endete mit mindestens 360 Millionen Mark hinterzogener Steuern und einer Verurteilung von zwölf Jahren Haft.

Geld bis heute nicht gefunden

Erhard Goldbach starb im Jahr 2004, das von ihm unterschlagene Geld wurde bis heute nicht gefunden. Westfalia Herne verabschiedete sich im Juli 1979 von allen Bundesliga-Träumen. Wohl für immer und ewig. Günter Brocker, 1958 Meister mit Schalke 04 und Trainer in den 1970er Jahren, erzählt über eine Begegnung mit Hernes illustrem Präsidenten: „Der Goldbach war der einzige, den ich kennengelernt habe, der einen allein dafür hatte, ihm in den Mantel zu helfen.“