Herne. . „In diesen Klassen sitzt die ganze Welt“, sagt Lehrerin Marta Kress. In den Vorbereitungsklassen an der Hans-Tilkowski-Schule gibt sie Kindern Deutschunterricht, die gerade erst nach Herne gekommen sind. Für viele ist es der erste Kontakt mit der ungewohnten Sprache.
„G-u-t-e-n M-o-r-ge-n, F-r-a-u K-r-e-s-s“: Wenn die Schüler der Vorbereitungsklasse 1 (VK1) der Hans-Tilkowski-Schule ihre Lehrerin zu Beginn des Deutsch-Unterrichts begrüßen, ist das mehr als ein freundlicher Gruß. Sie üben damit gleichzeitig die deutsche Sprache, die manchem Kind bis zu diesem Zeitpunkt völlig ungeläufig ist.
In den Vorbereitungs- oder Auffangklassen werden Schüler unterrichtet, die ohne Deutschkenntnisse hierher gekommen sind, die teilweise auch das lateinische Alphabet nicht kennen, sondern das kyrillische oder arabische schreiben. 15 Nationen sind zurzeit an der Schule vertreten. „In diesen Klassen sitzt die ganze Welt“, sagt Lehrerin Marta Kress. Sie kann als gebürtige Polin gut nachvollziehen, was es für die Kinder bedeutet, im Deutschen bei Null anfangen zu müssen, eine neue Schrift zu lernen, eine komplett andere Grammatik.
Mit großer Konzentration
Hinzu kommt: Die Klassen sind extrem heterogen, auch in Bezug auf den Kenntnisstand jenseits des Deutschen. Manches Kind könnte zum Gymnasium gehen, andere müssen erst alphabetisiert werden. Und die Zusammensetzung der Klasse kann sich täglich ändern: Wenn neue Schüler dazustoßen - oder gehen müssen, weil ihre Familien abgeschoben werden.
An diesem Morgen stehen drei Stunden Deutsch für die VK1 auf dem Programm. Die Schüler schlagen sich gerade mit den Personalpronomen herum. Ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie - ganz einfach, wenn man daran gewöhnt ist, sie zu benutzen. Das hört aber schon bei einigen romanischen Sprachen auf. Aurora aus Italien, erst ein Woche in der VK1 und Erika aus Spanien verzweifeln leise, auch das Wörterbuch hilft nicht viel. Halmiya aus Bulgarien, die ein bisschen Spanisch spricht und mit Erika und zwei weiteren Schülerinnen zusammensitzt, versucht zu dolmetschen.
Mit großer Konzentration und Disziplin
„Die Kinder helfen sich alle untereinander“, sagt Schulleiter Lothar Heistermann. Und nicht nur das: Mit großer Konzentration und Disziplin versuchen sie, die Aufgaben zu lösen, die ihnen Marta Kress aufgibt. Zunächst geht es um die Reihenfolge der Personalpronomen auf Deutsch: Wer richtig liegt, bekommt einen großen Zettel mit dem Wort darauf und darf ihn an die entsprechende Stelle an die Tafel kleben. Dann bekommen die Kinder bunte DIN A4-Bögen, auf denen jeweils eines der Personalpronomen auf Deutsch steht - und die Schüler sollen das Wort in ihrer jeweiligen Sprache darunter schreiben, das Blatt dann an den nächsten weiterreichen und so fort. Marta Kress macht den Schülern das nicht nur mit Worten klar, sondern auch mit Gesten, schreibt Luftwörter und -kreise. Die Kinder verstehen.
Einzige Verständigungsbasis
Der 13-jährige Jusuf aus Serbien ist seit vier Monaten in der Klasse, kann sich schon recht gut verständigen und noch besser verstehen, was man ihn fragt. Der Unterricht macht ihm Spaß, sagt er. Ein bisschen Deutsch habe er schon gekonnt, als er herkam und er spreche auch zu Hause etwas Deutsch - mit dem Papa und den Geschwistern.
In der Schule ist Deutsch die einzige gemeinsame Verständigungsbasis; finden sich dann nicht doch sehr schnell die jeweiligen Nationalitäten zusammen? Lothar Heistermann schüttelt den Kopf: „Nein, das geht kreuz und quer. Sie finden andere Anknüpfungspunkte.“
Mihil aus Bulgarien hat den Sprung schon geschafft, er steuert jetzt, nach insgesamt drei Jahren in Deutschland, auf einen guten Schulabschluss zu. „Ich habe mir immer viel Mühe gegeben“, erklärt er seinen Erfolg. „Und viel geübt.“
Zahl deutlich gestiegen
In Herne ist in den letzten Monaten die Zahl der Kinder, die aus dem Ausland kommen, deutlich gestiegen. Gab es im Schuljahr 2009/’10 noch 29 Zuzüge, so waren es 2012/’13 bereits 143 und allein im ersten Halbjahr 2013/’14 schon 104. Ein Kind ist davon im Einschulungsalter, 46 sind im Grundschul-, 50 im Sekundarstufe I- und sieben im Sekundarstufe II-Alter. Sie kommen aus Serbien (24), aus Rumänien (23), Polen (15), Bulgarien (14), Syrien (4) und 16 weiteren Staaten.
Weil alle Kinder ab sechs Jahren, die ihren Wohnsitz in NRW haben, schulpflichtig sind, führt einer ihrer ersten Wege in Herne zum Kommunalen Integrationsbüro (KI). Dessen Mitarbeiter beraten mit den Eltern und den Kindern oder Jugendlichen über die geeignete Schule. „Wir berücksichtigen dabei die Bildungslaufbahn der Kinder, den Alphabetisierungsstand, die Familiensituation, die Familiensprache und, wenn vorhanden, die Zeugnisse“, sagt Josef Münch, stellvertretender Leiter des KI. Manches Kind kann von Anfang an eine Regelschule besuchen, die meisten müssen aber zunächst Deutsch lernen.
Zusätzliche Vorbereitungsklassen eingerichtet
Bis zum Jahreswechsel haben die Freiherr-vom-Stein-Grundschule in Wanne-Süd und die Vellwigschule in Sodingen aus dem Ausland stammende Grundschulkinder aufgenommen. Jetzt hat wegen der gestiegenen Zahlen auch die Grundschule Horststraße in Holsterhausen als dritte Schule eine Vorbereitungsklasse eingerichtet. Und auch im Sekundarstufenbereich ist ausgebaut worden: Neben der Hans-Tilkowski-Schule, die einige Jahre diese Aufgabe allein gestemmt hat, richtete im vergangenen Sommer auch die Gesamtschule Wanne-Eickel eine Vorbereitungsklasse ein. Und die Hans-Tilkowski-Schule baut neben den beiden bestehenden eine dritte Klasse auf. Insgesamt besuchen dort zurzeit 65 Schüler die Vorbereitungsklassen.
Nach spätestens zwei Jahren sollen sie in eine Regelklasse wechseln. Je nach ihrem Leistungsstand können sie aber auch schon vorher einzelne Fächer einer Regelklasse besuchen.
Die Hans-Tilkowski-Schule ist eine Schule mit gebundenem Ganztag, das heißt: die Schüler sind dort bis 16 Uhr.
Die Vorbereitungsklassen haben, abgesehen von dem verstärkten Deutschunterricht, einen „normalen“ Stundenplan. Sie werden also auch in Mathe, Erdkunde, Sport, Geschichte usw. unterrichtet - auf Deutsch.
Wer gut „mitkommt“, kann gegebenenfalls schon nach einigen Monaten den Fachunterricht in der altersentsprechenden Regelklasse besuchen.
Ein Senior-Experte, ein ehemaliger Ingenieur, unterstützt die Arbeit der Hans-Tilkowski-Schule, indem er den Kindern vor allem beim Erlernen des lateinischen Alphabets hilft.