Herne. Zehntklässler der Erich-Fried Gesamtschule konnten sich gestern Geschichte von Zeitzeugen anhören. Sieben Männer und zwei Frauen erzählten von ihrer Jugend vor, während und nach dem Krieg. Die Schüler stellten auch kritische Fragen.
Es schellt. Die Zehntklässler der Erich-Fried Gesamtschule strömen in die Mensa. In einer Ecke stehen zwei uniformierte Puppen mit Stahlhelm auf dem Kopf. Melina, Thea und Muriel setzten sich an einen Tisch in der Ecke. Sie kramen den Notizblock aus der Tasche, suchen die vorbereiteten Fragen.
Antworten – darum ging’s gestern in der Erich-Fried Gesamtschule. Neun Zeitzeugen erzählten den Schülern von ihrer Jugend im Nationalsozialismus und nach dem Krieg. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, in so einer Zeit zu leben“, sagt die 16-jährige Thea. „Waren die da eigentlich alle in der Hitlerjugend? Oder dürfen wir das die Zeitzeugen gar nicht fragen?“
Am Tisch in der Ecke ist jetzt Kieferchirurg Rolf Hinz. Der 86-Jährige hat als Jugendlicher bei der Flak – der Flugabwehrkanone – gearbeitet. Er erzählt von der Zeit im Krieg, als er eine jüdische Nachbarin in den Luftschutzkeller zog – kurz bevor eine Bombe in das Haus einschlug. Er erzählt von den Tagen nach dem Krieg. Russische Soldaten wollten ihn festnehmen. Der lettische Ehemann der jüdischen Nachbarin versuchte, zu vermitteln. „Er wollte sagen, dass ich einen Leistenbruch habe. Nur fiel im das russische Wort nicht ein. Er hat denen dann gesagt – euch kann ich’s erzählen, ihr seid ja über 16 Jahre alt – dass ich kaputte Eier habe...“, sagt Hinz mit schelmischen Grinsen. „Da haben die Russen gelacht – so wie ihr jetzt – und sind gegangen.“
Mit der Anekdote hat Hinz das Eis gebrochen. Ob er darüber nachgedacht habe, wenn er Flugzeuge abgeschossen hat, möchte ein Mädchen wissen. „Nein, wir hatten kein Mitleid“, sagt Rolf Hinz deutlich. „Wir mussten uns ja selber verteidigen.“ Ein Junge fragt vorsichtig, wie das denn damals mit den Juden gewesen sei. In der Schülergruppe wird es still. Thea, Melina und Muriel warten gespannt auf eine Antwort. Rolf Hinz überlegt. „Ich kann euch schwören“, sagt er schließlich. „Dass Juden vergast wurden habe ich nicht gewusst!“
Viele wollen nicht reden
Organisiert wurde die Zeitzeugen-Aktion von Horst Spiekermann. Der Hobby-Historiker tingelt seit etwa fünf Jahren mit den Zeitzeugen durch Schulen in Herne. In Altenheimen, Kirchengemeinden und Parteien hat er nach Zeitzeugen gesucht, die bereit waren, sich den fragen zu stellen. Das sei nicht immer einfach gewesen. „Die Menschen könnten viel erzählen, wollen aber nicht drüber reden. Das gelte besonders für Frauen. „Dabei muss Geschichte doch lebendig bleiben.“