Herne.
Der Stärkungspakt ist eine politische Mogelpackung und bedeutet für Herne nicht die Rettung. Das sagt Helmut Diegel, Chef der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet, im Interview mit der WAZ. Er sieht die Bundesregierung gefordert.
Sie sind seit fast drei Jahren IHK-Chef. Wie hat sich Herne in dieser Zeit wirtschaftlich bewegt?
In Herne hat man – anders als in den meisten anderen Ruhrgebietsstädten – begriffen, dass man Unternehmen nicht finanziell zur Ader lassen sollte. Die Entscheidung des Rates der Stadt, nicht endlos an der Gewerbesteuerschraube zu drehen, ist ein Signal wirtschaftspolitischer Vernunft. Dem zolle ich meinen Respekt. Dass Herne auf der Expo-Real in München als bester Logistik-Standort des Jahres in NRW ausgezeichnet wurde, belegt eindrucksvoll, dass es richtig ist, sich auf seine Stärken zu konzentrieren. Man muss einem Standort eine Kompetenz zubilligen und zuordnen können. Das wissen die politisch Verantwortlichen in Herne. Und das ist gut.
Nach mehreren Hiobsbotschaften in den vergangenen zwei Jahren (zuletzt etwa BTMT und Siemens) wird jetzt das Sasol-Werk nahezu komplett dicht gemacht. Wann ist die Talsohle erreicht?
Ich möchte hier keine Kaffeesatzleserei betreiben. Aber ich gebe Ihnen Recht: Herne muss auch heute noch den einen oder anderen Nackenschlag hinnehmen, weil Unternehmen verschwinden oder Arbeitsplätze abbauen. Nur: Das ist das Resultat unternehmerischer Entscheidungen, die sich aus unterschiedlichsten Faktoren ergeben können – etwa aus einer unbefriedigenden Erlössituation auf dem Weltmarkt oder aufgrund zu hoher Arbeitskosten im internationalen Vergleich. Diese unternehmerische Entscheidung ist aber eben keine Entscheidung gegen den Wirtschaftsstandort Herne.
Nicht?
Nein. Wenn sich Unternehmen aus Herne verabschieden würden, weil in Herne die politischen Rahmenbedingungen schlecht wären oder die Verwaltung unternehmerfeindlich handeln würde, hätte der Standort ein fundamentales Problem. Das ist aber objektiv nicht der Fall. Die Firmen gehen nicht aus Herne weg, weil Herne schlecht ist. Sie gehen weg oder setzen sich kleiner, weil es ihnen im Wettbewerb nicht gut geht. So schmerzlich das im Ergebnis für die Stadt und für die Menschen in Herne auch ist – Herne ist nicht daran schuld.
Was sind zurzeit die größten Probleme in Herne – und wie kann man sie anpacken?
Die Haushaltssituation ist extrem schwierig, aber nicht hausgemacht. Herne hat kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem. Der Stärkungspakt bedeutet keine Rettung, denn Herne kann nicht noch mehr einsparen. Ganz persönlich würde ich sagen: Der Stärkungspakt ist eine politische Mogelpackung.
Was ist demnach zu tun?
Ich halte viel vom Konnexitätsprinzip. Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Heißt: Die Kommunen müssen von den Kosten für jene Aufgaben, die sie für andere erbringen, entlastet werden. Solange dies nicht geschieht, fressen beispielsweise die Sozialausgaben jeden eingesparten Euro im Haushalt auf. Klarer, aber ehrlicher Satz: Wenn sich für Herne nicht ein Füllhorn auftut, wird die Stadt aus eigener Kraft nie wieder auf die Beine kommen. Hier ist für mich ganz klar die Bundesregierung gefordert. Die Landesregierung schafft es mit ihrer Politik sicherlich nicht, das Problem zu lösen.
Wie geht es den Unternehmen in dieser Stadt?
Regierungspräsident, dann IHK-Chef
Helmut Diegel, 57, wurde in Hagen geboren. 1986 legte er sein Juristisches Staatsexamen in Bochum ab. 1982 bis -86 war er Mitarbeiter am Lehrstuhl für Gesellschaftsrecht und Rechtsgeschichte an der Fernuni Hagen.
Von 1985 bis 2005 war Diegel Mitglied des Landtags für die CDU, von 2005 bis 2010 Regierungspräsident in Arnsberg.
Nach der Wahl durch die Vollversammlung am 14. September 2010 ist Helmut Diegel seit dem 1. Januar 2011 Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet.
Kein Unternehmen legt der IHK Mittleres Ruhrgebiet seine Bilanz vor. Auch hier werde ich mich nicht als Kaffeesatzleser versuchen. Aber eines kann man sicherlich sagen: Auf Seiten der Politik haben die Unternehmen in Herne starke Fürsprecher. Für mich steht fest: Herne ist keine unternehmensfeindliche Kommune.
Und: Was erwarten Sie von einer schwarz-roten Bundesregierung für diese Region und Stadt?
Zwei Dinge in erster Linie: Wir brauchen den Soli nicht mehr für den Osten Deutschlands, sondern für den Westen. Und wir brauchen Infrastrukturmittel, damit wir als Industrie- und Transitregion Ruhrgebiet nicht den Verkehrsinfarkt sterben.
Vor einem halben Jahr wurde das IHK-Regionalbüro in Herne eröffnet. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Ich will nicht überheblich klingen. Aber ich habe das Gefühl, dass man in Herne froh ist, dass wir jetzt vor Ort sind. Das gilt für unsere Mitglieder, die jetzt einen richtig kurzen Weg zu ihrer IHK haben. Das gilt aber auch für Politik, Verwaltung und Verbände vor Ort, die merken, dass wir uns sinnvoll einmischen – mit Ideen, mit Kritik, manchmal auch mahnend. Ich habe noch keine Stimme gehört, die sagt, das Regionalbüro kann sich die IHK schenken…
Stichwort Hertie-Haus. Sie haben es einmal als „Bruchbude“ bezeichnet. Und vor einem Jahr angekündigt, dass Sie gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung und der Stadt Investoren für das Gebäude begeistern wollen. Die hält sich offenbar noch in Grenzen, oder?
Es gibt natürlich Interessenten. Und es gibt gute Gründe, warum die dem Haus in der Regel relativ schnell wieder die kalte Schulter zeigen. Wenn die Ertragsvorstellungen des Eigentümers mit den Möglichkeiten des Investors nicht in Einklang zu bringen sind, können wir noch so viel für den Standort werben – es nützt nichts. Nein, aus meiner Sicht muss man das Thema ganz anders angehen. Ich habe Bauminister Michael Groschek schon früh gebeten, gegen Besitzer von Schrottimmobilien mit harter Hand vorzugehen. Was er auch will.Das Hertie-Haus schadet der Entwicklung der Stadt. „Bruchbude“ ist noch zu wenig gesagt. Wenn sich der Eigentümer nicht bewegt, dann muss die Politik den Eigentümer bewegen. Zum Wohle der Allgemeinheit. Wie heißt es so schön im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet.
Nach vielen Jahren sind Sie nun zurück in der Kommunalpolitik, haben sich in der CDU Hagen-Emst zum zweiten Vorsitzenden wählen lassen. Warum?
Ich möchte meine gewachsene wirtschaftspolitische Kompetenz für meine Partei und meine Stadt einbringen. Aber ich engagiere mich dort bekanntlich nicht nur in der CDU, sondern ich fahre dort auch regelmäßig Kart und habe im Tischtennis-Bereich Verantwortung übernommen. Ich bin meiner Heimatstadt schlicht und einfach sehr eng verbunden.