Herne. . Hermann Kracht war während der NS-Zeit Vereinsführer des SC Westfalia Herne. „Mit einmütiger Begeisterung“, schrieb er 1934, sei der SCW hinter der Fahne des Hakenkreuzes marschiert.“ Nach Kriegsende zunächst als „aktiver Nazi“ eingestuft, verhalfen ihm Sportskameraden zum „Persilschein“.
„Der SC Westfalia 04 Herne ging durch die sturmbewegten Jahre des Weltenbrandes, durch die Schmach der Novemberrevolte, die Erniedrigung des Franzoseneinbruchs, ging durch die Wirrnisse der Inflation und der politischen Korruption, des roten Terrors und Brudermords“, schrieb Vereinsführer Hermann Kracht im September 1934 und beschwor dann die Zeitenwende: „Sein Weg ging aber auch durch den leuchtenden Morgen, der für Deutschland anbrach, als Adolf Hitler das Staatsruder mit seinen festen Händen ergriff. Der SCW ist in einmütiger Begeisterung hinter der Fahne des Hakenkreuzes marschiert.“
Mit diesen Worten skizzierte Kracht allerdings nicht nur den Werdegang des Sportclubs, sondern auch seine eigene Biografie. 1891 wurde er als Spross einer alteingesessenen Herner Familie geboren. Mit 16 Jahren trat er dem SC Westfalia Herne bei. Anfangs mussten sich der fußballbegeisterte Oberprimaner und seine Mannschaftskollegen noch vor patrouillierenden Pädagogen verstecken, da Schülern höherer Lehranstalten die „Fußlümmelei“ verboten war und der Karzer drohte. Im August 1914 zog der junge Mann begeistert in den Krieg, erlitt einen Lungenschuss und wurde dienstunfähig geschrieben.
Aufstieg in die Gauliga
Während der französischen Ruhrbesatzung erwarb sich Kracht aufgrund seiner nationalen Tätigkeit im Umfeld des SCW den Spitznamen „der deutsche Hermann“ und wurde verhaftet. In den Jahren 1933 und 1934 erlebte der Studienrat mit dem Burschenschafts-Schmiss im Gesicht die Erfüllung vieler seiner Träume. Die Kanzlerschaft Hitlers kündigte ein wiedererstarktes Vaterland an, Westfalia Herne gelang der Aufstieg in die Gauliga, der damals höchsten Spielklasse, und nach mehrjähriger Arbeit wurde das neue Stadion am Schloss Strünkede fertiggestellt. Mag sich Kracht auch vom pöbelhaften Auftreten der SA distanziert haben, so verband ihn mit Albert Meister, dem führenden Nazi in Herne, eine große biografische Nähe. Schon vor 1933 soll er den späteren Oberbürgermeister mit seinem Wagen zu Parteiveranstaltungen gefahren haben. Nach 1933 brachte die „Männerfreundschaft“ für beide Seiten nur Vorteile: Kracht trat in die NSDAP ein und wurde 1935 zum Ratsherrn ernannt. Im Gegenzug wurde Meister Mitglied bei Westfalia und ließ sich volksnah bei den Spielen des städtischen Repräsentationsclubs sehen.
Der Nationalsozialismus beflügelte auch Krachts berufliche Laufbahn. Außergewöhnlich schnell wurde er zum Oberstudienrat und zum Oberstudiendirektor ernannt. Am Tag nach der Reichspogromnacht 1938 inszenierte er als kommissarischer Leiter der Oberschule für Jungen (heute: Pestalozzi-Gymnasium) einen „Propaganda-Marsch“ der Schüler zu den noch glimmenden Trümmern der Synagoge. 1940 wurde er von der Stadtverwaltung endgültig zum Schulleiter berufen.
In seiner „kernigen Ansprache“ gelobte er, für die „charakterliche und körperliche Auslese“ der Jugend und ihren soldatischen Drill zu „Gehorsam und Disziplin“ Sorge zu tragen – „zu Ehren unseres Führers und Großdeutschlands glücklicher Zukunft“.
Nach Kriegsende wurde Hermann Kracht von den Alliierten bis August 1946 im Lager Hochlarmark interniert. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als „aktiver Nazi“ eingestuft. Damit wäre für ihn eine Weiterbeschäftigung als Lehrer oder die Übernahme von öffentlichen Ämtern nicht mehr in Frage gekommen. Der Oberstudienrat a. D. legte Berufung ein.
Als „M itläufer“ eingestuft
Seine Sportkameraden lieferten ihm mit dem berühmten „Persilschein“ – bekanntlich wäscht das Waschmittel weißer als weiß – den positiven Leumund. So erklärte Fußballobmann Gustav Rappenberg: „Als Hermann Kracht und ich am 9. November 1938 nachmittags zum Sportplatz gingen und an den rauchenden Trümmern des jüdischen Möbellagerhauses der Firma Liffmann vorbeikamen, kritisierte Kracht in scharfen Worten diese unselige Handlungsweise und meinte, dass man sozialer gehandelt hätte, wenn man die Möbel armen Volksgenossen zur Verfügung gestellt hätte.“ Um die hanebüchene Logik richtig zu verstehen: Hermann Kracht sollte damit als Gegner der Judenverfolgung dargestellt werden.
Die Berufungsverhandlung hatte Erfolg, zumal ausschließlich Entlastungszeugen gehört wurden. Die Nähe zum Regime habe Kracht nur aus „Liebe zum Sport und aus Treue zum Verein“ gesucht, hieß es. Im Mai 1948 wurde er in die „Kat. IV: Mitläufer“ zurückgestuft.
Gymnasiallehrer bis 1957
Sein früherer Kollege Anton Pesch, der 1933 als Schulleiter von den Nazis suspendiert worden war, kommentierte resigniert: Wenn Krachts NS-Karriere nicht ausreichen sollte, „um einen Menschen schärfer anzufassen als einen Mitläufer, so weiß ich wirklich nicht, was dann das ganze Entnazifizierungsverfahren noch für einen Sinn hat. Es sind zu viele Leute zu Entlastungsschreiben bereit und verhelfen so dem Unrecht zum Siege“. 1948 übernahm Kracht wieder den Vorsitz von Westfalia Herne. Als Lehrer für Erdkunde und Geschichte verblieb er bis zu seiner Pensionierung 1957 am Pestalozzi-Gymnasium. Er verstarb im Juni 1964.