Herne. . Der Herner Unternehmer Otto Heinrich Flottmann (1875-1944) war ein überzeugter Nationalsozialist; bereits 1931 trat er der NSDAP bei. Der Rat der Stadt wird am Dienstag über die Aberkennung von Flottmanns Ehrenbürgerschaft abstimmen.

Knarzend kriecht die Stimme aus dem Lautsprecher: „Lieber Parteigenosse Dr. Heinrich Flottmann. Es wird uns allen stets unvergessen bleiben, dass Sie in der schwersten Zeit vor der Machtübernahme sich bedingungslos für den Führer und seine Bewegung eingesetzt haben. Wenn einmal die Geschichte des Kreises Herne/Castrop-Rauxel geschrieben wird, so kann das nicht geschehen, ohne ihren Namen gebührend zu nennen.“

Es ist eine Aufnahme auf einer alten Kautschuk-Schallplatte, gesprochen von Karl Nieper, dem Kreisleiter der NSDAP, gepresst zu Ehren des Baurats Otto Heinrich Flottmann, der 1940 seinen 65. Geburtstag beging.

Musikkapelle marschierte

Die Schallplatte hat die Jahrzehnte in einem eigens dafür angefertigten Koffer überstanden und eröffnet einen anderen Blick auf die Geschichte der Maschinenfabrik, die Herne zur „Stadt der Bohrhämmer“ machte und ihr damit Weltruhm verschaffte. Noch heute sind die Flottmann-Hallen ein renommiertes Kultur-Zentrum. Was aber in der Erfolgsgeschichte des Familienunternehmens zumeist verdrängt wird: Otto Heinrich Flottmann, gefeierter Erfinder des Bohrhammers, war ein überzeugter Nazi und bedeutender Förderer der NSDAP.

Otto Heinrich Flottmann (1875-1944).
Otto Heinrich Flottmann (1875-1944). © WAZ

Bereits frühzeitig setzte der Unternehmer auf den Nationalsozialismus. Gemeinsam mit ihm trat die Führungsspitze des Werks im Oktober 1931 in die NSDAP ein. Im Betrieb förderte Flottmann die erste Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) in Westfalen und trat ihr selbst bei. Ein Paukenschlag in einer Stadt, in der seit Jahren bei den Wahlen die Kommunisten die meisten Stimmen bekommen hatten und in der die Betriebe von den sozialdemokratischen Gewerkschaften dominiert wurden. Die von Flottmann finanzierte Musikkapelle der NSBO, die erste in ganz Deutschland, marschierte und trommelte nun öffentlich auf den Kundgebungen der NSDAP. Der katholische Herner Anzeiger, herausgegeben von Josef Röttsches, kommentierte einen Nazi-Aufmarsch am 8. Januar 1933 lakonisch: „Man zählte nur etwas über 900 Mann. Die fast rein nationalsozialistische Flottmannbelegschaft war dabei allein mit 180 Mann und ihrer großen Musikkapelle vertreten.“ Flottmann = Nazi-Betrieb. Diese Gleichung gehörte für die Zeitgenossen scheinbar zum Allgemeinwissen.

Ehrenbürgerschaft seit 1935

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Im Dezember 1935 ernannte die NS-Stadtverwaltung Otto Heinrich Flottmann, mittlerweile auch Präsident der Industrie- und Handelskammer in Bochum, aufgrund seiner Verdienste um „die Entwicklung der Stadt Herne und um die nationale Erhebung“ zum Ehrenbürger der Stadt.„Auch die nationalsozialistische Bewegung ist schon seit Jahren vor dem Umbruch in vorbildlicher Weise von Heinrich Flottmann unterstützt worden. Seit 1931 ist er Mitglied der Bewegung und hat vor allem in der Krisenzeit den Gau und über den Gau hinaus die Partei finanziell unterstützt“, begründete Oberbürgermeister Albert Meister den Schritt.

Im Herner Adressbuch konnte es jeder Bürger nachlesen. In trauter Verbundenheit steht der Name Flottmanns unter dem Namen des „Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler“.Gelassen verkündete der Unternehmer bei der Betriebsfeier anlässlich seiner Ehrung: „Jetzt, wo im neuen Deutschland die Hitlerfahnen wehen und der Wirtschaftsapparat wieder angekurbelt ist, sind auch wieder die Mittel dazu vorhanden, fröhliche Feste zu feiern.“

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Als Zubringerbetrieb für den Bergbau profitierten die „Flottmänner“ von der Aufrüstungspolitik der Nazis. Mit Filialen in Prag, Wien, Budapest, Paris, Zürich, Mailand, Madrid und Cardiff boomte das Geschäft. Allein im Herner Stammwerk arbeiteten über 1000 Beschäftigte. Im Frühjahr 1939 wurde eine neue dreischiffige Werkshalle ihrer Bestimmung übergeben.

Absage an SPD-Mann

Von der „Gefolgschaft“ bis zum „Betriebsführer“ war die „Werksgemeinschaft“ politisch klar positioniert: Während man sich weigerte, den Handwerker Wilhelm Schramma einzustellen, weil er vor 1933 Stadtverordneter der SPD und ein bekannter Gegner der Nazis war, wurde man 1937 zum „Gaumusterbetrieb“ gekürt. 1939 verlieh Hitler dem Unternehmer den Titel „Baurat“. Zu diesem Zeitpunkt zog sich Otto Heinrich Flottmann bereits aus dem Firmengeschäft zurück. Er verstarb im Februar 1944 in seiner Altersresidenz im fränkischen Erlangen.

Rat soll Ehrenbürgerschaft aberkennen 

Der Rat der Stadt wird am Dienstag, 15. Oktober, in einem „symbolisch-politischen Akt“ über die Aberkennung der Ehrenbürgerschaften aller zwischen 1933 und 1945 in Herne und Wanne-Eickel verliehenen Ehrenbürgersschaften abstimmen - also auch über die von Otto Heinrich Flottmann.

Der Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung: „Der Rat der Stadt Herne beschließt, alle Ehrenbürgerschaften der ehemaligen Städte Herne und Wanne-Eickel, die in der Zeit von 1933 - 1945 verliehen wurden, in einem symbolischpolitischen Akt abzulehnen und abzuerkennen, da diese Ehrenbürgerschaften von demokratisch nicht legitimierten Ratsversammlungen vergeben wurden und damit keinen Bestand haben.“

Sachverhalt: „Aufgrund einer nicht eindeutig definierten Rechtsgrundlage sowie der in der Vergangenheit unterschiedlichen Handhabung von Ehrenbürgerschaften aus der Zeit 1933 - 1945, ist es politisch angeraten, dass der Rat der Stadt Herne eine endgültig klärende Position zur Frage der „Aberkennung bzw. Distanzierung von Ehrenbürgerschaften“ aus dem genannten Zeitraum einnimmt.

Neben Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler, den (uns bekannten) Ehrenbürgerschaften der Städte Herne und Wanne-Eickel in den Jahren 1933 bis 1945, ist in einer vorliegenden Liste auch der Herner Bürger Dr. Otto Heinrich Flottmann genannt. Vor allem in Hinblick darauf, dass die belegte NS-Vergangenheit des Herner Bürgers Otto Heinrich Flottmann weitere Fragen aufwirft, wäre es für die Stadt Herne angeraten, pauschal alle Ehrenbürgerschaften zwischen 1933 und 1945 - im Rahmen eines symbolischpolitischen Aktes - abzuerkennen.

Die Begründung berücksichtigt, dass die „Flottmann-Hallen“ heute ein bedeutender Kulturstandort der Stadt Herne und damit ein wichtiger Imagefaktor sind. Die Begründung berücksichtigt des Weiteren die Bedeutung des Namens „Flottmann“. Denn sie reduziert sich nicht auf Otto Heinrich Flottmanns politisches Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Die Familie Flottmann muss unabhängig davon gesehen werden. Auch die Bedeutung des Flottmann-Bohrhammers und der Flottmann-Werke für die Stadt Herne und den Bergbau der Region dürfen nicht in Zweifel gezogen werden.

Ziel von Erinnerungskultur ist es aber nicht, Stadtgeschichte von unbequemen Fakten zu bereinigen und damit die Flottmann-Hallen womöglich umbenennen zu wollen. Ziel der Stadt Herne ist es, sich mit ihrer Geschichte intensiv und in manchen Themen stärker noch als bisher öffentlich auseinanderzusetzen. Der Name „Flottmann-Hallen“ soll deshalb erhalten bleiben.

Die Verbindungen der Flottmann-Werke zum Nationalsozialismus werden durch eine Gedenktafel sowie in einer Dauerausstellung im heutigen Kulturstandort „Flottmann-Hallen“ sichtbar gemacht werden.“