Herne. . Um „Zuwanderung, Abgrenzung, Ausgrenzung und Verfolgung“ ging es bei einer Stadtrundfahrt durch Herne und Wanne-Eickel, die Stadtarchivar Jürgen Hagen im Zuge der Interkulturellen Woche anbot. Stationen waren unter anderem der Cranger Kirmesplatz, der jüdische Friedhof am Hoverskamp und die alte Herner Synagoge.
Stadtrundfahrten zeigen normalerweise die schönen Seiten einer Stadt. Monumente, Museen, historische Bauten und Parks gehören dann zum Programm einer Erkundungstour. Bei der Stadtrundfahrt im Rahmen der interkulturellen Woche aber waren vor allem die dunklen Kapitel der Geschichte von Herne und Wanne-Eickel im Mittelpunkt. „Von Zuwanderung, Abgrenzung, Ausgrenzung und Verfolgung“ berichtete Stadtarchivar Jürgen Hagen am vergangenen Freitagnachmittag.
Systematische Verfolgung
Dem ernsten Thema wie zum Trotz zeigen sich Herne und Wanne-Eickel wettermäßig von der allerschönsten Seite. Auf dem Cranger Kirmesplatz beginnt die Rundfahrt mit dem Bus, angenehme 20 Grad und Herbstsonne würden perfekt zum bunten Kirmestreiben passen. Zum Bild der Cranger Kirmes gehörten lange Zeit auch Sinti und Roma, die mit Tanz, Wahrsagerei und Musik die Volksfestatmosphäre ausmachten. Doch Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit führten dazu, dass Sinti und Roma ausgegrenzt wurden. „In den 1930er Jahren begann die systematische Verfolgung der Sinti und Roma, 1943 wurden die Familien aus Herne und Wanne-Eickel nach Auschwitz deportiert“, referiert Jürgen Hagen. Unter den Teilnehmern der Stadtrundfahrt wird es ganz still.
Mit viel Fachwissen und Engagement berichtet Jürgen Hagen über weitere Minderheiten, die von der heimischen Bevölkerung in Herne und Wanne-Eickel nicht eben vorbehaltlos aufgenommen wurden. In der ehemaligen Zechensiedlung Teutoburgia lebten vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele polnische Zechenarbeiter. „1911 begann auf Teutoburgia die Kohleförderung“, berichtet Jürgen Hagen.
50 Prozent polnische Bergleute
Ein Drittel der Bewohner der Siedlung Teutoburgia waren Polen, die Zechen „Friedrich der Große“, „Von der Heydt“ oder „Pluto“ hatten mehr als 50 Prozent polnische Bergleute. Aus Erzählungen von ihren Eltern und Großeltern kennen die Teilnehmer der interkulturellen Stadtrundfahrt die Geschichten von polnischen Bergleuten, die auch als Kostgänger in den Siedlungen lebten. „Ein polnischer Bergmann lebte bei uns in der Wohnung und wurde so etwas wie mein Onkel, ich habe sehr positive Erinnerungen an diese Zeit“, berichtet eine Teilnehmerin. Umso erstaunter sind die Stadtrundfahrt-Teilnehmer, als Jürgen Hagen aus einer Doktorarbeit aus dem frühen 20. Jahrhundert zitiert, in der der Verfasser die Polen als wenig reinlich und gewaltbereit darstellt. Unfassbar, dass einst für solche Äußerungen ein akademischer Grad verliehen wurde. Die Stadtrundfahrtler sind empört. Von Vorbehalten gegenüber Minderheiten ist hier überhaupt nichts zu spüren – schade nur, dass an der interkulturellen Stadtrundfahrt nur neun Leute teilgenommen haben. Denn über die bekannten Fakten über Herne und Wanne-Eickel hinaus hat man viel erfahren, was selbst Kenner ihrer Heimat sicher noch nicht wussten.