Herne. . 2002 wurde Gerd Bollman (SPD) erstmals in den Bundestag gewählt, nun scheidet er nach elf Jahren aus. Mit der WAZ blickte er zurück auf seine Zeit im Parlament.

Offizielles Mitglied des Bundestags wird Gerd Bollmann noch bis zur Konstituierung des neu gewählten Parlaments im Oktober sein, doch innerlich hat der 2002 in Herne/Bochum II erstmals gewählte Sozialdemokrat bereits Abschied genommen – auch wenn er noch einen Koffer beziehungsweise eine Mietwohnung in Berlin hat.

„Die werde ich wohl bis Mitte 2014 behalten, um einiges nachzuholen“, sagt Bollmann. Er habe in den elf Jahren nicht viel von der Hauptstadt gesehen: Morgens gegen 7.30 Uhr („häufig mit dem Fahrrad“) von der Abgeordnetenwohnung zum Reichstag, abends bisweilen erst gegen 21 oder 22 Uhr wieder zurück – „ich bin manchmal richtig neidisch geworden, wenn meine Besuchergruppen von Berlin erzählt haben“, lacht er.

Seine persönliche politische Bilanz kann das nicht trüben. „Es war eine spannende Zeit“, sagt der 65-Jährige im Rückblick. Das gelte vor allem für die Jahre 2002 bis 2005 unter Rot-Grün. Zur Agenda 2010 stehe er noch heute – auch wenn es Fehlentwicklungen gegeben habe und einiges zu schnell gegangen sei. „Man hätte einige Dinge schneller korrigieren müssen“, so Gerd Bollmanns (Selbst-)Kritik. Grundsätzlich halte er es aber mit Altkanzler Gerhard Schröder: „Die Richtung hat gestimmt.“

Der SPD viel zu verdanken

Nicht leicht sei ihm die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr gefallen. Anders als bei der Agenda 2010 hat er hier inzwischen Zweifel an Entscheidungen: „Ob wir in Afghanistan viel erreicht haben, das weiß ich nicht.“

Ohne Einschränkungen positiv bewertet er die von der Großen Koalition aufgelegten Konjunkturprogramme: „Städten wie Herne hat das sehr geholfen“, sagt Bollmann. Apropos: Er sei kein Freund einer Großen Koalition, aber die vier Jahre von 2005 bis 2009 seien „keine schlechte Zeit fürs Land“ gewesen. Deshalb sei es auch seine größte persönliche Enttäuschung gewesen, dass die SPD bei der Bundestagswahl vor vier Jahren so katastrophal abgeschnitten habe.

Konkrete Pläne für seinen Ruhestand hat Gerd Bollmann noch nicht: „Ich will aber auf jeden Fall mehr Sport treiben“, sagt er. Bei Heimspielen des DSC Wanne-Eickel und des VfL Bochum sowie bei zahlreichen anderen Sportveranstaltungen wird man ihn auch weiterhin antreffen. Und die Politik? Ein Amt will er in der SPD nach seinem Abschied vom Bundestag nicht mehr anstreben, doch einbringen will er sich nach wie vor - eine Herzenssache: „Aus der SPD wird mich niemand rausbekommen. Ich bin stolz auf die Geschichte meiner Partei. Und ich habe dieser Partei viel zu verdanken.“

Gerd Bollmann ...

... über Angela Merkel: „Ich kann die Anerkennung, die sie genießt, nicht nachvollziehen. Dieses Aussitzen, dieses Lavieren, dieses Nicht-Entscheiden – irgendwann wird der Punkt kommen, an dem die Menschen in Deutschland die Nase voll von dieser Politik haben werden. Bei mir ist dieser Punkt schon lange erreicht.“

. . . über Hernes Zukunft: „Die Stadt wird niemals aus eigenen Kräften aus der finanziellen Misere herauskommen. Die Schere geht immer weiter auseinander. Dass zum Beispiel der Bund die Mittel für die soziale Stadt drastisch gekürzt hat, ist eine Katastrophe.“

. . . über das Ruhrgebiet: „Das Ruhrgebiet muss sich endlich mehr als Metropole begreifen, wenn es nicht abgehängt werden will. Wir müssen uns anders aufstellen und mehr kooperieren. Und wenn es irgendwann ein gemeinsames Autokennzeichen fürs Ruhrgebiet geben sollte, werde ich der Erste sein, der sich eins anschafft.“

. . . über sein Verhältnis zu Gewerkschaften: „Ich habe zu vielen Aspekten der Agenda 2010 gestanden – und man hat mich hinterher noch immer gegrüßt. Seit meinem sechsten Lebensjahr gehe ich zur Mai-Kundgebung in Herne: Anfangs an der Hand meines Vaters, später alleine. Das wird auch so bleiben.“

. . . über seine Aufgabe in der SPD-Bundestagsfraktion als Berichterstatter in Sachen Abfallpolitik/Recycling: „Man hat mir das wohl zugetragen, weil ich aus einem technischen Beruf kam und die Materie sehr kompliziert ist. Eigentlich wollte ich ja in den Bildungsausschuss. Ich dachte, dass dies für mich als erfahrenener Berufsschullehrer genau das Richtige wäre. Aber ich habe mich damals wohl zu wenig darum bemüht.“

. . . über Veränderungen im Berliner Politbetrieb? „Eigentlich hat sich in den elf Jahren nicht so viel geändert. Was mich aber unheimlich stört, ist das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition. Ich würde mir wünschen, dass in den Bundestagsausschüssen stärker inhaltlich gearbeitet wird und auch mal einem guten Vorschlag einer Oppositionspartei zugestimmt wird.“

. . . über Bundestagskollegen, die er persönlich besonders schätzt: „In der SPD-Fraktion Christoph Strässer aus Münster, neben dem ich häufig gesessen habe. Er ist Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Menschenrechte. Beim politischen Gegner hatte ich zu Josef Göppel einen guten Draht. Das ist der ,grüne Förster’ der CSU, der in der Umwelt- und Klimapolitik sehr kompetent ist.“