Herne. . Mit der alternden Gesellschaft kommen auch Unternehmen „in die Jahre“. „Noch hat der Arbeitsmarkt genug Potenzial, doch mittelfristig werden weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen“, so die IHK. Eine Konsequenz: In manchen Branchen wird das Wissen der älteren Mitarbeiter immer wertvoller.

Der Mitarbeiter des Herner NWB-Verlags hatte seinen Ruhestand erreicht. „Doch wir konnten ihn überzeugen, noch zwei Monate dranzuhängen“, erzählt NWB-Geschäftsführer Ludger Kleyboldt. Grund: Der erfahrene Kollege hatte noch nicht sein Know-how weitergegeben.

Mit der alternden Gesellschaft kommen also auch Unternehmen „in die Jahre“. „Noch hat der Arbeitsmarkt genug Potenzial, doch mittelfristig werden weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen“, sagen Anna Holstegge und Raphael Jonas, die bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet das Sachgebiet der Demografie verantworten. Eine Konsequenz: In manchen Branchen wird das Wissen der älteren Mitarbeiter immer wertvoller - siehe oben. Zurzeit ende für viele Mitarbeiter die berufliche Weiterbildung etwa im Alter von 40 Jahren, dies müsse sich ändern.

Mittelfristig verstärke sich auch der Wettbewerb um neue Mitarbeiter. „Der Bewerbermarkt kehrt sich um“, so die IHK-Experten. Nicht mehr Firmen melden sich bei Bewerbern. Der Bewerber teilt dafür mit, ob er überhaupt im Unternehmen anfangen möchte.

Also müssen die Bedingungen stimmen. Das Gehalt spielt dabei nicht unbedingt die zentrale Rolle, dafür die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der NWB-Verlag ist für seine flexiblen Arbeitszeitmodelle und Familienfreundlichkeit 2008 vom Land NRW ausgezeichnet worden. Doch erhält der Begriff „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ eine doppelte Bedeutung. So braucht ein Mitarbeiter womöglich keine Zeit für Kinder, sondern für die Pflege von Angehörigen.

Tarifvertrag Demografie

Jonas und Holstegge sagen voraus, dass zunehmend Menschen mit Behinderung als ernsthafte Bewerber in Frage kommen. Gerade kleine Unternehmen hätten nicht die personellen Kapazitäten, um sich mit dem demografischen Wandel zu beschäftigen und vorauszuplanen.

Beim Herner Chemieunternehmen Sasol hat man das im Blick. Auch, weil es in der chemischen Industrie seit 2008 einen „Tarifvertrag Demografie“ gibt – einen betrieblichen Topf, in dem die Arbeitgeber Beiträge pro Mitarbeiter sammeln, um Instrumente für die Gestaltung des Wandels zu finanzieren. Doch Wissen kann man nicht mit Geld erhalten. Allerdings durch Dokumentation. „Wir haben sehr viel Wissen in Checklisten abgespeichert“, sagt Sasol-Betriebsleiter Arno Posselt. Darüber hinaus bilde man altersgemischte Teams, um Wissen weiterzugeben – damit niemand zwei Monate überziehen muss.

Rentner helfen Neulingen

Verlassen ältere Mitarbeiter einen Betrieb in den - vorgezogenen - Ruhestand, nehmen sie ein Bündel aus Erfahrungen, Wissen und Kontakten mit. Der Herner Wilfried Niggemann nutzt als IHK-Seniorexperte seine berufliche Vergangenheit, um seinen Erfahrungsschatz zu teilen.

26 Jahre lang war Niggemann Prokurist im Einkauf der Deutschen Steinkohle, 2006 schied er aus dem aktiven Berufsleben aus. Doch Passivität ist nichts für den heute 62-Jährigen. Er war Schöffe am Amtsgericht und will eine Wahlperiode dranhängen; er war bis 2010 Vorsitzender im IHK-Prüfungsausschuss für Industriekaufleute Bergbau; vier Jahre lang engagierte er sich für die IHK in der Lehrstellenakquise; seit 2007 ist unter anderem auch er Schriftführer im Herner Kreisverband Wohneigentum. Seine Motivation beschreibt er so: „Ich habe in meinem Beruf mit vielen Menschen zu tun gehabt, ich habe sehr viele Kontakte und eine hohe Bindung zur Region. Ich will nicht zu Hause ‘rumsitzen, sondern auch weiter herumkommen und meine Tipps weitergeben.“ Es sei ja kein Stress, er könne selbst bestimmen, wann er arbeite.

In Herne gibt es sichtbare Ergebnisse seiner Arbeit. Der Holzhandlung Eichhorn schrieb Niggemann einen Geschäftsplan, darüber hinaus leistete er Hilfe, als Yvonne Jokiel an der Neustraße mit Krakauer Spezialitäten den großen Schritt in die Selbstständigkeit wagte. In beiden Firmen schaut Niggemann nach wie vor nach dem wirtschaftlich Rechten.

Zurzeit hat der Experte wieder einen Geschäftsplan auf seinem Schreibtisch, den er durchleuchtet. „Ich weiß, welche Kosten auf Firmengründer zukommen“, sagt Niggemann. Ans Aufhören denkt er nicht, im Gegenteil: Niggemann hofft, dass das IHK-Seniorennetzwerk wächst. Es sei noch „aufnahmefähig“.