Herne. . Rund 700 Menschen nahmen am Sonntag in Herne an der Mai-Kundgebung des DGB teil. Hauptredner war auf dem Rathaus-Vorplatz Verdi-Mann Norbert Arndt.

Peer Steinbrück redete am Mittwoch auf der Mai-Kundgebung des DGB in Bergkamen, Hannelore Kraft folgte der Einladung nach Duisburg, und Gregor Gysi war zu Gast in Dinslaken. In Herne trat als Hauptredner „nur“ der örtliche Verdi-Sekretär Norbert Arndt ans Mikrofon. Doch kämpferischer und vor allem lokaler als auf dem Rathaus-Vorplatz dürfte es in kaum einer Ruhrgebietsstadt zugegangen sein.

Nach der Eröffnung durch Hernes DGB-Chef Dieter Fregin geißelte Arndt vor rund 700 Zuhörern die Folgen der in Europa „immer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen Reich und Arm“ ebenso wie „asoziale Steuerverweigerer“ und drastische Kürzungen aller Bundesregierungen der vergangenen Jahre: „Wenn wir genau hinschauen, dann lugt die Krise auch in unserer Stadt schon seit längerem durch die Ritzen“, so Norbert Arndt.

Lange Liste der sozialen Skandale

Dem Appell „Schauen wir genau hin!“ ließ er eine lange Listen von Krisenauswüchsen und sozialen Skandalen „vor der eigenen Haustür“ folgen. Zum Beispiel:
– Jedes vierte Kind unter 15 lebe in Herne von Hartz-IV-Leistungen.
– Beim verfügbaren Einkommen belege Herne mit 16 353 Euro den zweitschlechtesten Wert in NRW.
– Bei der Herner Tafel würden an drei Stützpunkten über 2000 Lebensmittelportionen an rund 1200 „Kunden“ ausgegeben.

Stichwort kommunale Finanzen: Ohne Stärkung der Einnahmeseite drohe dem „Kaputtsparen“ in Herne und anderen Städten eine Beschleunigung. Zum Schluss seiner kämpferischen Rede ließ der Verdi-Mann es sich auch nicht nehmen, einen Appell an die örtlichen Landes- und Bundestagsabgeordneten zu richten: Die Ende 2013 auslaufenden Verträge von 29 Schulsozialarbeitern (wir berichteten) müssten entfristet werden, so Arndt. Eine am Mittwoch gestartete Unterschriftenkampagne soll dieses Anliegen untermauern.

Vor Arndt hatte OB Horst Schiereck in einem Grußwort die fatalen Folgen der Opel-Schließung in den Fokus gerückt. Und wie Arndt wies er besonders auf den 80. Jahrestag der Zerschlagung freier Gewerkschaften durch die NS-Diktatur hin (siehe auch Bericht unten).

Und sonst? Stärkten sich Besucher bei Erbensuppe und Pils oder informierten sich an den Infoständen der üblichen Mai-Verdächtigen.

Hauptredner Norbert Arndt über:

Die Krise in Europa: Seit Wochen befinden sich Millionen abhängig Beschäftigte und die Gewerkschaften in Spanien, Portugal, Griechenland, Malta, Zypern und England in harten Auseinandersetzungen mit ihren Regierungen und der EU-Troyka. Männer und Frauen, Jugendliche und Rentner bevölkern immer wieder Straßen und Plätze mit ihrem Protest gegen die Ausplünderung ihrer Länder und ihrem leidenschaftlichen Ruf nach sozialer Gerechtigkeit! Mit ihnen fühlen wir uns heute, an unserem Tag, – durch ein Band der internationalen Solidarität- eng verbunden! Ihnen gehört unsere Sympathie!

Die Belastung von Steuerzahlern: Auch in der Bundesrepublik war und ist es der normale, kleine Steuerzahler, der bisher die Bankenrettung bezahlt. Und nicht jene, die mit Hilfe des gleichen Bankensektors ihre Gelder in komplizierten Briefkastenfirmen verstecken, um dem Fiskus Steuern vorzuenthalten. Während sich eine steinreiche Finanzaristokratie, um nichts mehr sorgt, als um die Mehrung ihres Vermögens, können Millionen von Menschen in einem reichen Land wie Deutschland nicht von ihrer realen Arbeit leben und gehen Städte wie Herne vor die Hunde. Während Millionen Menschen nichts zu vererben haben außer Schulden, verstecken die Superreichen ihr Geld vor der Erbschaftssteuer.

Die „Umfairteilung“: Die Konzentration des Reichtums ist inzwischen asozial, durch nichts zu rechtfertigen und darüber hinaus Treibstoff für die aufgeblähten Finanzmärkte. Es ist Zeit für einen grundlegenden Politikwechsel. Es ist Zeit für eine Vermögensabgabe und für eine Millionärssteuer. Um den gesellschaftlichen Druck für diese Forderungen zu erhöhen hat am 29. September der bundesweite Aktionstag „UmFAIRteilen -Reichtum besteuern“ stattgefunden. Bundesweit waren etwa 40.000 Menschen auf Straßen und Plätzen, darunter 6.000 allein in Bochum. Tausende Menschen haben sich am 13. April erneut in mehr als 100 deutschen Städten am »Umfairteilen«-Aktionstag beteiligt. Das waren mehr als doppelt so viele Orte wie im vergangenen Jahr. In Bochum haben wir 2000 Teilnehmer zusammengebracht! Das reicht natürlich noch nicht und wir müssen und werden (da bin ich zuversichtlich) deutlich mehr werden!

Krisensymptome in Herne: Weil das, was jetzt ganz Europa übergestülpt werden soll, in unserem Land schon seit Jahren – mit zweifelhaftem Erfolg- erprobt wird. Schauen wir genau hin,-- schauen wir auf Herne:

- Herne liegt in der offiziellen (und bereits geschönten) Arbeitslosenstatistik seit Jahren auf einem vorderen Platz, im Ruhrgebiet.

- Die aktuellen Erwerbslosenzahlen stagnieren in Herne auf hohem Niveau und es fehlt an Stellenangeboten. Wir sehen darin den deutlichen Ausdruck einer verfehlten Politik. Eigentlich benötigen wir wirtschaftspolitische Impulse. Diese kommen aber aktuell weder aus dem eigenen Land noch aus dem Export.

- In Herne haben wir mittlerweile eine Beschäftigungsquote (d.h. einen Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) von gerade mal 44 %. Das ist die niedrigste Quote in ganz NRW!

Verursacher der Krise: Die Hauptursache für das Ansteigen der Schuldenquote der öffentlichen Haushalte liegt in der Steuersenkungspolitik bei den Unternehmens- und Vermögenseinkommen in den letzten 20 Jahren, und den milliardenschweren Rettungsschirmen für Großbanken. Üppige Steuergeschenke für Spitzenverdiener, Unternehmer und reiche Erben bescheren den öffentlichen Haushalten jährliche Einnahmeverluste von über 50 Mrd. Euro! Eine schamlose Reichtumspflege und die Finanzmarktkrise ließen die Staatsschulden geradezu explodieren. Nach der großen Krise hinterließen die Bosse in den Frankfurter und Münchener Glaspalästen uns Steuerzahlern eine Zeche von rund 400 Mrd. Euro! Es ist doch nicht wegzuwischen und gar nicht so schwer zu verstehen: Deren Reichtum ist die Kehrseite der öffentlichen Armut!

Die Haushaltsnot der Kommunen: Wenn ich es richtig verstehe, dann geht der grundsätzliche Streit doch darum, ob Haushaltssanierung durch Streichung öffentlicher Leistungen und Aufgaben oder durch eine Erhöhung der Einnahmen zu erfolgen hat. Wer, wie wir, die Schuldenbremse, eine verschärfte Einsparpolitik und immer weitere Sozialkürzungen ablehnt, dem wird allenthalben Realitätsverlust vorgeworfen. Angeblich ist das Eindampfen des Sozialstaates und lebenswerter Städte alternativlos. Nun, wir verweigern uns keineswegs der Realität! Es geht präzise um den Weg, wie man zu einem ausgeglichenen Haushalt kommt. Und da haben wir Gewerkschaften eine klare Position: .... Es geht nur über eine nachhaltige Stärkung der Einnahmeseite! Wo das Geld im Übermaß gehortet wird und wo es zu holen ist, ist hoffentlich deutlich geworden!? Das wollen wir unseren Abgeordneten im Bund, im Land und in unserer Stadt, wenige Monate vor der Bundestagswahl und ein Jahr vor der Kommunalwahl in NRW , an diesem 1.Mai und in den kommenden Monaten zu bedenken geben.

Finale Botschaft: Frei nach Rio Reiser will ich Euch aber noch zurufen: Du sagst, du willst die Welt nicht retten, das ist dir alles ne Nummer zu groß.Und die Weltenretter war‘n schon so oft da, nur die meisten verschlimmern‘s bloß. Und doch fragt mich jeder neue Tag, auf welcher Seite ich steh. Und ich schaff‘s einfach nicht, zuzusehen, wie alles den Bach runtergeht. Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?