Herne. . Viele Schüler haben einen Vollzeitjob. WAZ-Praktikantin Luisa Kuschke aus Herne berichtet aus ihrem Alltag.
Es ist Dienstag,16.15 Uhr. Ich hetze von meiner Arbeitsstelle zurück zur Schule – ich habe Sport. Ich bin völlig fertig, denn ich habe bereits sechs Stunden Schule hinter mir und drei Stunden lang in einer Anwaltskanzlei gearbeitet, um ein bisschen Geld zu verdienen. Jetzt nur noch Sport bis 18 Uhr, dann kann ich endlich nach Hause. Dort warten aber noch Hausaufgaben in Mathe, Geschichte und Deutsch auf mich. Außerdem muss ich noch für die nächste Klausurphase lernen. Ich wäre an einem solchen Tag erst um 22 Uhr fertig, wenn ich alles erledigen würde - ohne auch nur eine Sekunde das getan zu haben, was ich möchte, etwa Freunde treffen oder wenigstens ein bisschen entspannen. Um dem Druck standzuhalten, mache ich nur noch Hausaufgaben in meinen vier Abiturfächern. Die Lehrer merken das nicht; oft ist es ihnen auch egal. Trotzdem habe ich dann einen „Arbeitstag“ von zwölf Stunden hinter mir.
Nur die Leistung zählt
So wie mir geht es vielen Schülern in Herne. Vorgeschrieben sind 34 Wochenstunden Schule; hinzu kommen Hausaufgaben, und Vorbereitungen für Klausuren. Schule ist zu einem Vollzeitjob geworden. Für Arbeitnehmer gilt eine Durchschnittsarbeitszeit von acht Stunden pro Tag; dabei darf die Anzahl von 40 Stunden pro Woche nicht überschritten werden. Durchschnittlich nimmt die Schule bei Oberstufenschülern nach einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks und Unicef 45,21 Stunden wöchentlich ein - das ist mehr, als bei einem Vollzeitjob erlaubt sind. Das Hausaufgabenpensum ist für die Anzahl der Wochenstunden zu groß; viele Schüler suchen sich die wichtigsten Aufgaben aus und „vergessen“ die restlichen. Schon ohne Nebenjob und Haushalt wäre das alleine Stress genug.
Hinzu kommt aber noch der stetig steigende Leistungsdruck. Ich bin eine Schülerin des Doppeljahrgangs – jeder Punkt zählt, denn die NC an den Universitäten werden durch die große Anzahl von Abiturienten hochgeschraubt. Es ist ein Kampf um den Studienplatz, um die beste Durchschnittsnote, um jeden Punkt.
Nur die Leistung zählt; ob es dem Menschen dahinter gut geht, ist nebensächlich. Daher zeigen 30 Prozent aller Schüler laut einer Studie der Uni Lüneburg mehrmals wöchentlich Stress-Symptome wie Schlafprobleme, Gereiztheit oder Kopfschmerzen. Meine Migräne kann ich auch darunter fassen.
Wo bleibt bei all dem noch Zeit, um einmal zur Ruhe zu kommen? Zeit, um einfach mal das zu sein, was man eigentlich noch ist – nämlich ein Teenager?