Welche Rollen spielen Auto und Fahrrrad in der Mobilität von heute? Und: Wo müssen Änderungen her? Darüber sprach die WAZ mit Ulrich Syberg, Bundesvorsitzender des ADFC, und Günter Trunz, Leiter Verkehr und Umwelt beim ADAC Westfalen.
Herr Syberg, fahren Sie gerne Auto?
Syberg: Nur, wenn es nicht anders geht. Kürzlich bin ich nach langer Zeit wieder mal Auto gefahren, mit einem Leihwagen. Das Auto meiner Lebenspartnerin war nach einem Unfall kaputt. Es war schön, mal einen anderen Wagen auszuprobieren.
Und Sie, Herr Trunz, fahren Sie auch gerne Auto?
Trunz: Ich fahre Auto. Punkt. Da ich jeden Tag zur Arbeit pendeln muss, hin und zurück jeweils 37 Kilometer, hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Zwischendurch bin ich auf dieser Strecke mit der Bahn gefahren, da war ich doppelt so lange unterwegs. Da ist das Auto natürlich ein Gewinn. Und gelegentlich fahre ich wirklich gerne Auto: Mit meinen Käfer, den ich von meiner Tante geerbt habe. Der ist 31 Jahre alt, lindgrün und mit Pepitasitzen ausgestattet. Der macht Freude.
Neidisch, Herr Syberg?
Syberg: Nein, wenn Herr Trunz einen Käfer in der Garage hat, kann er ihn gerne fahren. Ich hatte auch mal einen, vor etwa 40 Jahren. Mein Vermieter besitzt einen Uralt-Mercedes-Cabrio. Da schaue ich in der Tat auch mal bewundernd drauf.
Wenn Ihnen schöne Autos gefallen: Warum sind Sie dann fahrradverrückt?
Syberg: Ich bin nicht fahrradverrückt! Ich nutze das Fahrrad aber gerne, um von A nach B zu kommen. Und zwar deshalb, weil der Autoverkehr vor gut 30 Jahren Überhand genommen hat. Damals habe ich erkannt, dass es so auf Deutschlands Straße nicht weitergehen kann. Jeder Kilometer wurde mit dem Auto zurückgelegt. Ich habe das für mich geändert und bin mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Das war Anfang der 1980er Jahre. Das habe ich bis heute beibehalten. Es sind zwar keine 37 Kilometer, aber heute immerhin elf Kilometer pro Weg. Seitdem Umstieg bewege ich mich viel mehr, bin viel mobiler mit dem Rad, ich gehe aber auch viel zu Fuß und nutze natürlich das Angebot des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs.
Herr Syberg, sind Sie im ADAC?
Syberg: Nein, ich war es mal, ich glaube, so um 1973/74. Damals hatte ich gerade den Führerschein gehabt, aber das war nicht mein Ding.
Und Sie, Herr Trunz, sind Sie Mitglied im ADFC?
Trunz: Nein. Aber ich fahre gerne Fahrrad, und meine Kinder haben Fahrrad fahren sehr früh gelernt. Fahrrad fahren ist sinnvoll, macht Freude und ist gesund. Aber: Man muss auch die Grenzen und Gefahren kennen, deshalb liegt dem ADAC etwa die Verkehrssicherheit von Kindern, auch was die Nutzung des Fahrrads angeht, sehr am Herzen.
Der Fahrradfahrer hat beim ADAC einen hohen Stellenwert, das zeigen etwa Prospekte rund ums Thema, die der Club herausgibt. Braucht Deutschland da noch den ADFC, Herr Trunz?
Trunz: Ich könnte sagen: eigentlich nicht. Das mache ich aber nicht. Wir sind in einem Wettstreit der Organisationen, und Konkurrenz belebt das Geschäft. Das ist gut. Als ADAC haben wir unseren eigenen Schwerpunkt: Wir sehen das Mitglied als Ganzes. Sein erster Anspruch ist das Auto, sein zweiter die Freizeitgestaltung. Und da spielt das Fahrrad eine sehr große Rolle. Wir informieren und beraten und sind im Übrigen seit über 30 Jahren auch einer der größten Fahrradverleiher im Münsterland mit einer eigenen Station und 150 Rädern, die nicht nur tageweise vermietet, sondern auch Tourenvorschläge im Angebot hat.
Stört es Sie, dass sich der große ADAC in Ihre Arbeit einmischt, Herr Syberg?
Syberg: Das tut er ja erst seit einigen Jahren, seitdem er erkennt, dass die Leute das Fahrrad öfter dem Auto vorziehen. Der ADFC ist 1979 entstanden, um einen Gegenpol zu bilden. Einen Gegenpol zum ADAC, der sich nur ums Auto kümmert und ganz nebenbei um die „Randerscheinung“ Fahrrad. Der ADFC hingegen setzt das Fahrrad in den Mittelpunkt seiner Vereinsaktivitäten. Wir sind lokal verankert, haben bundesweit bis zu 6000 ehrenamtliche Mitglieder, wir holen Menschen vor Ort aufs Rad, etwa durch Fahrradtouren, und machen Verkehrspolitik in den Rathäusern. Und das sehr erfolgreich.
Herr Syberg, was muss passieren, damit mehr Menschen aufs Rad umsteigen?
Syberg: Zwei Dinge sind mir wichtig: Die Infrastruktur in den Städten muss stärker auf das Fahrrad ausgerichtet werden, und die Regeln müssen sich den veränderten Mobilitätsansprüchen anpassen. Wir haben ein Riesenpotenzial, Menschen zum Umsteigen auf das Fahrrad zu motivieren, das wird jedoch nicht ausgeschöpft. Viele Menschen scheuen sich aufgrund der autozentrierten Verkehrsplanung, das Fahrrad zu benutzen.
Fangen wir mit der Infrastruktur an. . .
Syberg: Die Infrastruktur: Das Einrichten von Radfahrspuren auf der Fahrbahn ist z.B. viel preiswerter als der Bau von kompletten Straßen mit Borsteinradwegen. Auf jedem Autoparkplatz könnten bis zu acht Fahrräder abgestellt werden. Das spart Platz in unseren Städten und macht sie lebenswerter. Das große Problem ist aber, dass dafür heute kein Geld vorhanden ist.
Trunz: Stimmt nicht ganz. Das, was in Deutschland finanziell in die Straßen und in die Radwege gesteckt wird, kommt letztlich aus dem Autoverkehr, durch die Mineralöl- oder Kfz-Steuer etwa. Nur ein Drittel der Einnahmen fließt in den Straßenbau zurück. Von da her wäre Geld genug dafür da, auch für den Radwegebereich.
Kommen wir zu den Regeln. Der ADFC will Tempo 30 in der Stadt. . .
Syberg: Ja, als Regelgeschwindigkeit. Wenn sich die Geschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmer angleichen, gibt es nicht so schwere Unfälle, und es trauen sich mehr Radfahrer auf die Straße. Außerdem steigen mehr Menschen für Strecken im Nahbereich von bis zu sechs oder acht Kilometern aufs Fahrrad um. Wir sollten in den Stadträten also nicht darüber diskutieren, welche Straßen für Tempo 30, sondern welche für Tempo 50 freigegeben werden. Das würde zu einer ganz anderen Denkweise in den Köpfen der Politiker führen. Sie würden mehr an Radfahrer und Fußgänger denken. Übrigens sind Autofahrer vielfach zu schnell in den Städten unterwegs: Wo 50 erlaubt ist, fahren viele 60 oder 70, und gibt es 30er-Zonen, etwa vor Schulen, wo zu schnell gefahren wird, das macht beispielsweise Eltern Angst.
Trunz: Da haben Sie einen kleinen Denkfehler gemacht, den ich aber gerne verzeihe. Wenn Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt werden in Straßen mit Geschwindigkeitsbegrenzungen, sind meistens genau die Autofahrer am schnellsten, die dort wohnen. Heißt also: Wenn neue Regelungen eingeführt werden, nimmt man nicht alle mit.
Syberg: Stimmt, deshalb muss man das bewerben. Generell gilt: Wir brauchen eine Kultur der Rücksichtnahme auf deutschen Straßen: Der Stärkere muss auf den Schwächeren Rücksicht nehmen. Daran fehlt es in Deutschland grundsätzlich.
Wir waren bei den Regeln, Sie ändern wollen: Herr Syberg, ist es richtig, dass Fahrradfahrer auch künftig mit 1,6 Promille Fahrrad fahren dürfen?
Syberg: Nein, überhaupt nicht – mit 1,6 Promille machen sich Radfahrer strafbar. Wer meint, so viel trinken zu müssen, sollte den Bus nehmen, auf dem Fahrrad hat er nichts zu suchen. Der ADFC fordert eine 1,1-Promille-Grenze, verbunden mit einem Bußgeld, damit sich Radfahrer gar nicht erst an die Strafbarkeit herantrinken.
Herr Trunz, brauchen wir stärkere Regelungen, um den Radverkehr zu fördern?
Trunz: Was die niedrige Promille-Grenze angeht, sollten wir nächstes Jahr ins Gespräch kommen, und dabei auch etwa Mediziner und Verkehrspsychologen ins Boot holen. Ansonsten werbe ich für mehr Gelassenheit.
Heißt?
Trunz: Ganz klar: Keine Änderungen an der Geschwindigkeit. Wir als ADAC warnen dringend davor, mit rigiden Maßnahmen einzugreifen. Siehe die Fehlentwicklungen bei der Bekämpfung des Feinstaubs. Herne etwa hat – wie andere Städte des Ruhrgebiets – ein vermeintliches Feindstaub-Problem. Wo kommt der Feinstaub her? 70 Prozent nicht vom Straßenverkehr, sondern den Kraftwerken. Dennoch haben wir im Rahmen der Umweltzone Ruhrgebiet tausende Rentner enteignet – eine sehr rigide Zwangsmaßnahme. Sie haben zum Teil hochwertige Fahrzeuge, mit denen man locker noch 20 Jahre fahren könnte. Aber sie sind nicht umrüstbar und werden deshalb aus dem Verkehr gezogen. Positive Auswirkungen für die Umwelt sind dabei nicht nachzuweisen. Wenn wir mehr Zeit haben, entwickelt sich der Fahrradverkehr von ganz alleine, so wie wir das gerade bei den Pedelecs erleben. Dazu brauchen wir keinen neuen und eventuell blinden Aktivismus.
Syberg: Nein, stimmt nicht. Dass eine Umweltzone eingerichtet wurde, war lange bekannt, da konnten sich die Menschen früh drauf einstellen und ihre Fahrgewohnheiten anpassen. Im Übrigen: Auch die Autoindustrie hat geschlafen. Sie hat nicht frühzeitig innovative Techniken entwickelt. Und statt Elektroautos boomen nun die SUVs.
Herr Trunz, Herr Syberg kritisiert, dass Autofahrer meistens zu schnell führen. Sorgen Sie sich auch um Radfahrer, die sich nicht an die Regeln halten?
Trunz: Ja, meine Sorge gilt in der Tat dem „Homo pedalis“. Sobald der Mensch ein Fahrrad besteigt, verhält er sich anders, als wenn er im Auto sitzt oder zu Fuß geht. Die Versuchung, mit dem Fahrrad gegen Verkehrsregeln zu verstoßen, ist groß. Für viele bedeutet das Fahrrad das letzte Stück Freiheit, das sie haben. Und zwar nach diesem Motto: Ich kann fahren wie ich will und wo ich will. Das verträgt sich nicht mit den Normen unserer Gesellschaft.
Syberg, Sie dürfen widersprechen. . .
Syberg: Das ist nicht so einfach. Der ADAC hat 18 Millionen Mitglieder, alle bekommen die ADAC-Motorwelt, und viele fahren auch Fahrrad. Eigentlich müssten sie die Verkehrsregeln kennen – sei es durch die Fahrschule oder durch ihre Mitgliederzeitschrift. Und trotzdem gibt es Verkehrsteilnehmer, die sich in der Tat nicht an die Regeln halten. Hinzu kommt: Immer mehr junge Menschen machen gar keinen Führerschein – woher sollen sie die Regeln kennen? Darum kümmert sich der ADFC. Zudem fordern wir, wie auch unser Verkehrsminister, die Wiedereinführung der Fernsehsendung „Der 7. Sinn“.
Herr Trunz, haben Sie abschließend einen Wunsch an den ADFC?
Trunz: Dass wir alle gemeinsam über die Mobilität von morgen diskutieren – aber auf Zwangsmaßnahmen verzichten. Lieber in den Köpfen etwas bewegen als durch die Daumen von Politikern und Polizisten.
Herr Syberg, Ihr Wunsch an den ADAC?
Syberg: Dass er uns mal zu einem Forum einlädt und wir dort präsentieren können, wie wir uns fahrradzentrierte Mobilität vorstellen.
Zur Person:
Ulrich Syberg ist seit November 2010 Bundesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC); vorher war er ADFC-Vorsitzender in Herne. Der 56-Jährige ist Stadtverordneter der SPD und wohnt in Wanne-Eickel. Syberg ist Vermessungsingenieur und arbeitet in diesem Beruf für den Kreis Recklinghausen.
Günter Trunz ist seit 1981 beim Allgemeinen Deutschen Automobil Club (ADAC), genauer: beim ADAC Westfalen in Dortmund. Dort leitet er den Bereich Verkehr und Umwelt und ist dabei u. a. zuständig für Verkehrsplanung, -technik und Sicherheit sowie die Presse. Trunz wohnt in Lüdinghausen.