Am Rande der SPD-Wahlkreiskonferenz notiert: Michelle Müntefering setzt hohe Ziele, der Ex-Vizekanzler ist nervös, der Bürgersaal stößt an Grenzen. Und: Viel Aufregung um einen Brief.
Die richtige Wahl
Mit der Nominierung der SPD-Bundestagskandidatin ist für viele Genossen der Drops gelutscht. Natürlich muss auch im Wahlkreis Herne/Bochum II erst noch die „richtige“ Wahl im Herbst 2013 stattfinden, doch die bisherigen Ergebnisse bei Bundestagswahlen geben dieser Überheblichkeit reichlich Nahrung. Gerd Bollmann erhielt 2009 mit 51,3 Prozent fast doppelt so viele Erststimmen wie CDU-MdB Ingrid Fischbach (27,3 Prozent). Diese hatte sogar kräftig aufgeholt: 2004 hatte die SPD die CDU mit 59,5 zu 26 Prozent noch klarer deklassiert. Als Ziel für 2013 gab Michelle Müntefering in der Akademie Mont-Cenis „klar über 50 Prozent“ aus.
Kandidatin korrigiert sich
„Bayern hat die größeren Krüge, wir das bessere Bier“ – mit dieser auf die Stärke des Ruhrgebiets gemünzte Aussage hatte Michelle Müntefering beim Herner SPD-Parteitag vor einer Woche die Lacher auf ihrer Seite. Diese Behauptung müsse sie nun korrigieren, erklärte sie in der Akademie. „Bayern hat zwar die größten Krüge, aber das bessere Bier hat natürlich nicht Herne, sondern Bochum. Dafür hat Herne den größten Durst.“
Gutes Beispiel CDU
Für eine Sitzung der Bezirksvertretung Sodingen ist der Bürgersaal in der Akademie geeignet, sieht man mal von gelegentlichen Tonproblemen ab. Doch bei einer wichtigen Parteiveranstaltung wie am Dienstagabend mit 150 Delegierten, diversen Kamerateams und vielen Gästen stößt der Saal an Grenzen. Vielleicht hätten die Genossen sich ausnahmsweise ein Beispiel an der CDU nehmen sollen, die für wichtige Parteitage auch schon mal den – so sagen einige – schönsten Saal der Stadt anmietet, der im Wanner St. Anna-Hospital zu finden ist. Nein, natürlich nicht der Kreißsaal. Sondern: das Kongresszentrum St. Vinzenz im 5. Stock, das traumhafte Aussichten bietet (optisch, nicht politisch).
Alleinunterhalter Eiskirch
Thomas Eiskirch, Chef der SPD in Bochum, führte neben Hernes SPD-Chef Alexander Vogt durch die Konferenz. Er tat das launig. Bei den vorbereitenden Abstimmungen – etwa für die Wahlprüfungskommission – fragte er nicht, wer gegen einen Vorschlag ist, sondern wer dafür. „Das ist für die Fotografen“, scherzte er. Wohlwissend, dass es auf Fotos gut aussieht, wenn alle die Hand heben. Als es ans Eingemachte, sprich: an die Wahl Müntefering gegen Hildenbrand ging, ahnte Eiskirch, dass es mit der Einigkeit vorbei sein würde: „Das war’s mit den sozialistischen Ergebnissen.“
Wie ein „altes Rennpferd“
Franz Müntefering hat schon so manche Schlacht geschlagen. Ob ihn so eine Abstimmung wie am Dienstag dennoch nervös mache. Ja, bekannte der frühere Vizekanzler und Parteichef. „Auch ein altes Rennpferd kann zappelig sein“, räumte der 72 -Jährige ein. Hinterher war er aber ganz souverän: Die Schlange an TV-Journalisten, die Interviews vor der Kamera wollten, arbeitete er souverän ab.
Brief sorgt für Irritationen
Es ging um die SPD-Bundestagskandidatur, doch am Rande der Wahlkreiskonferenz in der Akademie Mont-Cenis gab es häufig nur ein Thema: den Brief, den Gunther Hildenbrand im Vorfeld an seine Gattin Anke geschrieben hatte. Als „Liebeserklärung“ hat SPD-Vize Anke Hildenbrand die Mail im Nachhinein bezeichnet. Ihr Mann habe sie damit persönlich unterstützen wollen.
Das alles geht die Öffentlichkeit eigentlich gar nichts an – wenn, ja wenn Anke Hildenbrand den Brief auf Bitte ihres Mannes nicht „an eine Handvoll Sozialdemokraten“ weitergeleitet hätte. Darunter waren offenbar nicht, wie vermutet, nur enge Freunde. Sondern auch ein Genosse, der für eine breite Streuung und damit für große Irritationen unter Delegierten sorgte.
Zum Teil schwere Vorwürfe werden nach WAZ-Informationen in dem Brief erhoben. Dass Anke Hildenbrand mit der Kandidatur von Uwe Knüpfer das Wasser abgegraben werden sollte. Dass ein „Prinzessinnenschutz-Team“ (gemeint sind offenbar Gerd Bollmann, Franz Müntefering und Frank Dudda) auf Teufel komm raus um Stimmen kämpfe. „Prinzessin“ Michelle Müntefering wird allerdings ebenso von der Kritik ausgenommen wie Parteichef Alexander Vogt. Jetzt müssten die Unterstützer Anke Hildenbrands auch angreifen und um Stimmen kämpfen, so Gunther Hildenbrands Appell.
„Mein Mann wollte mich schützen“, sagte Anke Hildenbrand am Mittwoch auf WAZ-Anfrage. Es sei eine Momentaufnahme; sie teile nicht alle Vorwürfe. Und warum hat sie die Mail ihres Mannes trotzdem 1:1 weitergeleitet? Weil sie gemerkt habe, wie groß sein Wunsch gewesen sei, sie zu unterstützen. Auch er sei sehr angespannt gewesen, weil er mitbekommen habe, wie viele Gerüchte über sie verbreitet worden seien.
Dass es inhaltliche Differenzen zwischen ihr und einigen Parteifreunden gebe, sei in der SPD bekannt. Sie werde nun „Vier-Augen-Gespräche“ führen und da, wo es nötig sei, für Klärung sorgen.
Als „sehr unglücklich“ bezeichnet SPD-Chef Alexander Vogt die Weiterleitung des Briefs. „Wir werden im Vorstand darüber sprechen.“ Grundsätzlich glaube er aber nicht, dass im Nominierungsverfahren „große Brüche“ in der Partei entstanden seien.