Alexandra Funke wollte im Elektro-Rollstuhl die Sitzung des Behindertenbeirates im Herner Rathaus besuchen und scheiterte im „behindertengerechten“ Aufzug. Konsequenz: Beirat tagt demnächst wieder woanders
Fast 280 000 Euro hat die Stadt in den behindertengerechten Umbau des Herner Rathauses gesteckt. Vieles hat sich dadurch verbessert, aber optimal ist die Situation nicht. Dies wurde allen Beteiligten am Rande der jüngsten Sitzung des Behindertenbeirates praktisch vor Augen geführt. Die Rollstuhlfahrerin Alexandra Funke wollte an der öffentlichen Sitzung des Beirates im Obergeschoss des Rathauses teilnehmen, scheiterte aber schon an der ersten Hürde, dem neu eingebauten „behindertengerechten“ Aufzug.
Ihr Elektro-Rollstuhl passte nicht in die Kabine des neuen Aufzugs, der sie vom Erdgeschoss am Seiteneingang ins Hochparterre bringen sollte. „Ich bin dann enttäuscht wieder nach Hause gefahren“, erzählt die 41-jährige Hernerin, der auch das Sprechen schwer fällt. Quasi von Geburt an ist die Spastikerin auf den Rollstuhl angewiesen.
Alternative in Wanne
Fatal: Die Vorsitzende des Behindertenbeirates, Bettina Szelag, hatte ganz bewusst erstmals in den Kleinen Sitzungssaal des Herner Rathauses eingeladen, um den Mitgliedern und Gästen den behindertengerechten Umbau vorzustellen. Szelag: „Ich habe natürlich davon erfahren, was Frau Funke widerfahren ist, wir hätten ihr gern geholfen, aber da war sie schon weg. Angesichts dieses höchst bedauerlichen Ereignisses werden wir keine Sitzungen unseres Beirates mehr im Herner Rathaus durchführen.“
Alternativen gibt es: In der Vergangenheit tagte der Beirat meist im ehemaligen Rathaus der alten Stadt Wanne-Eickel, aber zuweilen auch im Kulturzentrum. Drei anderen Rolli-Fahrern war es übrigens gelungen den Sitzungssaal im Herner Rathaus zu erreichen, so Szelag.
Auch der andere – modernisierte – Aufzug, der im alten Schacht vom Hochparterre in die darüberliegenden Stockwerke führt, bereitet Alexandra Funke Schwierigkeiten. An einigen Tagen steht ihr Simone Müller als Begleiterin zur Verfügung. Dann bleibt der E-Rolli zu Hause, und Simone Müller schiebt den Rollstuhl. Müller: „Wenn ich den Rollstuhl in den Aufzug geschoben habe, blockiere ich die Automatik der Kabinentür.“ Der Rolli könne in dieser Situation nicht rangiert, sondern müsse umgehoben werden, damit die Begleitperson sich seitlich vom Rolli postieren kann. „Dazu braucht man Kraft, die hat nicht jeder“, sagt Simone Müller.
Drittes Element des „behindertengerechten Umbaus“ ist ein Toilettenraum. Dort bemängelt Alexandra Funke, dass sie sich nicht die Hände waschen kann. Früh stoßen ihre Füße an die Wand unter dem Waschbecken, so dass sie bei ausgestreckten Armen die Armatur nicht erreicht. Außerdem fehlt ihr auf der Toilette selbst die Möglichkeit, sich anzulehnen. „Die Wand ist viel zu weit weg. Da falle ich doch nach hinten“, sagt Funke. Dass die Hinweistafeln am behindertengerechten Toilettenraum in etwa 180 cm Höhe, in Augenhöhe einer stehenden Person, angebracht sind, komplettiert den mangelhaften Eindruck.
Stadtsprecher Horst Martens: „Zunächst einmal möchte ich betonen, dass es uns natürlich leid tut, dass die Dame nicht an der Sitzung des Behindertenbeirats teilnehmen konnte. Insgesamt gibt es an den Eingängen zum Rathaus auch drei Ruftasten, und helfende Hände haben wir immer genug.“ Martens macht aber auch keinen Hehl daraus, dass beim behindertengerechten Umbau im Herner Rathaus Kompromisse gemacht werden mussten. „Bei einem Neubau hat man alle Möglichkeiten, die Dinge optimal einzurichten. Wir aber standen vor allerlei räumlichen und technischen Problemen in einem fast 100 Jahre alten Gebäude, das zudem unter Denkmalschutz steht.“ Bei den Aufzügen sei die DIN-Norm Typ 2 erfüllt, für die geräumigere Norm Typ 3 schlicht kein Platz gewesen. Der WAZ-Anruf im Rathaus hat aber immerhin dazu geführt, dass ein Planungsfehler am Handwaschbecken entdeckt wurde. „Statt der erforderlichen Unterfahrbarkeit von 55 Zentimetern Tiefe stehen tatsächlich nur 45 Zentimeter zur Verfügung“, räumt Martens ein. Kein Wunder also, dass Alexandra Funke nicht an die Armatur kommt. „Das wird geändert“, verspricht der Stadtsprecher.