Herne. . Das Interview der Woche: Helmut Domer geht nach 23 Jahren an der Spitze des Jugendamts in den Ruhestand.

Er gehört zu den Urgesteinen der Stadt Herne, kennt Politik und Verwaltung aus dem Effeff: Helmut Domer. 23 Jahre lang leitete er mit viel persönlichem Engagement das Jugendamt, den heutigen Fachbereich Kinder-Jugend-Familie. Ende des Monats verabschiedet er sich in den Ruhestand. Mit ihm sprach WAZ-Redakteurin Gabriele Heimeier.

Die Aufmerksamkeit, die heute Kindern, Jugendlichen und Familie gewidmet wird, ist wesentlich größer als früher. Wo sehen Sie in den vergangenen 20 Jahren die massivsten Veränderungen?

Domer: Das ist zweifellos die Kinderbetreuung im Bereich der Tagesstätten. In Herne gab es in meiner Anfangszeit nur zwei städtische Einrichtungen, die Kinder unter drei Jahren betreuten. Wir sind dann angefangen zu bauen und haben fast im Jahrestakt neue Kindergärten in Betrieb genommen. Nicht nur unsere eigenen, sondern auch die der Lebenshilfe, die ja ebenfalls die Stadt gebaut hat. Gewaltige Veränderungen hat es auch im Bereich der Sozialarbeit gegeben. Wir haben die Zuständigkeiten zum Beispiel nicht nach Buchstaben A bis H und so weiter aufgeteilt, sondern nach Wohnbezirken. Die Sozialarbeiter müssen das Umfeld der Familien kennen, die sie betreuen. Stark erweitert ist auch der Bereich „Frühe Hilfen“, insbesondere durch die Besuchsdienste nach der Geburt. Die Jugendförderung hat sich stabilisiert, die Jugendzentren sind entweder neu gebaut oder renoviert, die Kooperation mit den freien Trägern ist sehr eng.

Das hört sich nach einem großen Fachbereich an. . .

Mehr noch: Mit 452 Mitarbeitern ist er der größte innerhalb der Stadtverwaltung. Hauptsitz sind unsere Räume in den oberen Etagen des Wanner-Einkaufs-Zentrums, aber insgesamt verteilen wir uns auf 25 Gebäude.

War es Zufall oder sind Sie gezielt ins Jugendamt gekommen?

Letzteres und auf Umwegen. Nach einer Lehre bei Schwing zum Technischen Zeichner Maschinenbau habe ich auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht und war vier Jahre bei Bundeswehr. Es war aber auch die Zeit der 68er, von Willy Brandt, des Vietnamkrieges - eine Zeit der politischen Sensibilisierung. Ich wollte nicht mehr zurück auf die Technikschiene, sondern in den Sozialbereich und habe ein entsprechendes Studium gemacht. Nach zehn Jahren im Jugendamt Bottrop bin ich nach Herne gewechselt.

Was waren in den vergangenen Jahren die größten Schwierigkeiten, die zu stemmen waren?

Das Stadtteilzentrum Pluto war schwierig, einfach weil der Zeitrahmen wegen der EU-Mittel so eng war. Wir hatten 14 Tage für die Planung. Das Pluto hat sich zum Glücksgriff für den Stadtteil und unsere Arbeit entwickelt. Schwierig war es auch, Grundstücke für die Kitas zu finden, in einer so eng bebauten Stadt wie unserer. Da waren manchmal unkonventionelle Wege nötig.

Hatten Sie als Jugendamtsleiter nicht manchmal schlaflose Nächte, wenn Sie von Fällen hörten, in denen das Jugendamt zwar eingeschaltet war, ein Kind aber trotzdem zu Tode kam, wie in Bremen oder auch in Bochum?

Nein, eigentlich nicht. Ich will nicht ausschließen, dass hier auch etwas passieren kann; aber mit einer guten Kommunikationsstrategie und einer engen Zusammenarbeit mit unseren qualifizierten Mitarbeitern ist man relativ abgesichert. In Bochum, mehr noch in Bremen, gab es ein grobes Versagen vieler. Das Bochumer System einer finanziellen Deckelung für Betreuungsmaßnahmen hat es bei uns nie gegeben. In der Sozialarbeit ist es der erste Nagel, wenn man aus Geldmangel keine geeignete Betreuung anbieten kann. Wir sehen hier auf den Einzelfall und entscheiden dann, was zu tun ist. Zum Glück haben wir dabei auch die volle Rückendeckung der Politik.

Im Fernsehen rückt die Super-Nanny an und löst die schwierigen Fälle. . .

Wir hatten mal eine Anfrage einer betreuten Familie, ob ihr Kind bei einer ähnlich gelagerten Sendung mitmachen darf. Ich habe das sofort abgelehnt. Das ist eine öffentliche Zurschaustellung der Probleme von Kindern, mit der nur eins erreicht werden soll: Quote für die Sender.

Aber immer mehr Eltern sind mit der Erziehung überfordert - der häufigste Grund, warum Kinder aus Familien genommen werden.

In Deutschland braucht man für alles einen Führerschein, nur für die Kindererziehung nicht. Aber das würde ich auch gar nicht fordern. Aber man könnte zum Beispiel über eine Art verbilligten öffentlichen Elternkredit nachdenken: Junge Familien hätten zum einen eine bessere finanzielle Ausgangsbasis. Zum anderen sollten sie dann frei wählen können, ob sie den Kredit komplett zurückzahlen oder, wenn sie Erziehungskurse besuchen, die Rückzahlung reduzieren. Das wäre jedenfalls sehr viel sinnvoller als diese ,Herdprämie’.

Es hat vor einiger Zeit aus dem Allgemeinen Sozialen Dienst Klagen über zu hohe Arbeitsbelastung gegeben.

Es gab Disparitäten, ja. Einige Mitarbeiter fühlten sich, zum Teil zu recht, überbelastet. Wir haben ein neues System eingeführt, mit dem eine ungleiche Arbeitsbelastung vermieden werden kann. Seitdem ist das Thema ad acta gelegt.

Wo liegen in Herne aus Ihrer Sicht die größten Problempunkte?

In Wanne der Wohnblock an der Emscherstraße und in Herne-Mitte die Wohntürme. In Herne-Mitte sieht es keinesfalls besser aus als in Wanne-Nord. Eines unserer Probleme sind die billigen Mieten, die eine entsprechende Klientel anziehen, die dann wiederum Unterstützung braucht.

Die größten zukünftigen Aufgaben?

Die U3-Betreuung, da haben wir noch Bedarf. Sozialarbeit, offene Kinder- und Jugendarbeit müssen kontinuierlich weiter entwickelt werden, abgestimmt auf die gesellschaftlichen Prozesse und die Demografie. Die Frage ist, wie sich die sozialen Randgruppen, und damit meine ich auch die der deutschen Bevölkerung, entwickeln.

Kommen Sie denn überhaupt an nicht-deutsche Gruppen heran?

Früher kaum, heute besser, die Hemmschwelle, sich ans Jugendamt zu wenden, ist da sehr hoch. Wir erreichen Migranten generell jedoch sehr gut über die Tageseinrichtungen und Schulen; vor allem die Mädchen begreifen, wie wichtig Bildung für ihre Zukunft ist.

Hat sich das Rucksack-Projekt bewährt?

Das ist ein probates Mittel. Türkische Frauen sind durch türkische Frauen besser zu erreichen als durch deutsche Sozialarbeiter. Warum sollten wir es also nicht auf dem Wege machen. Und wenn ich zu einem Vortrag in eine Moschee eingeladen werde, gehe ich eben hin.

Wenn eine gute Fee vorbeikäme und Ihnen Geld für ein Projekt in Herne gäbe, was würden Sie tun?

Ein schönes, neues Jugendzentrum für Herne-Mitte bauen. Das fehlt hier.