Fanny Schnur besuchte erstmals die Stadt, die ihre jüdischen Vorfahren 1936 verlassen mussten. In Uruguay fanden sie eine neue Heimat.
Zu Hause in Montevideo warten sie gespannt auf ihre Rückkehr. Was wird Fanny Schnur mitbringen an Fotos und Eindrücken aus der Stadt, die ihre jüdische Familie am 12. Juli 1936 verließ, weil sie die zunehmenden Repressionen der Nationalsozialisten nicht länger ertragen wollte? Die 64-jährige Anwältin, die wie in Uruguay üblich den Namen ihres Vaters nach der Heirat behalten hat, hat die Geschichten aus der alten Heimat immer und immer wieder gehört. Von ihrem Vater Heinz Schnur und dessen jüngerem Bruder Leo, heute 90 und 86 Jahre alt, die beide noch in Montevideo leben.
Orte der Vergangenheit
Ein kundiger Stadtführer begleitete gestern die Besucherin auf ihrer Spurensuche. „Das war sehr bewegend für mich“, sagt Fanny Schnur über ihren Gang durch Herne, der am Schoah-Mahnmal endete. Während ihr Mann in Essen auf der Messe seinen Geschäften nachging, folgte Fanny Schnur dem Historiker Ralf Piorr an die Orte, von denen sie so viel gehört hatte: das Geburtshaus des Vaters an der Goethestraße 21 und das spätere Wohnhaus der Familie an der Schaeferstraße, gleich gegenüber der Synagoge, in der Heinz Schnur die Bar Mitzwa empfangen hatte. Piorr nahm sie mit auf den jüdischen Friedhof und zeigte ihr die Von-der-Heydt-Straße, wo ihre Großeltern einst ein Bekleidungsgeschäft betrieben hatten. Heute steht dort das Hertie-Parkhaus.
Fanny Schnur, eine elegante und redegewandte Frau, sieht die Stadt Herne naturgemäß mit anderen Augen als Heinz und Leo, die nicht aufhörten sich nach ihr zu sehnen. „Sie haben immer an die guten Zeiten ihrer Kindheit gedacht“, weiß sie. Um so härter traf sie deren plötzliches Ende. „Dass sie nicht mehr zum Metzger oder in die Oberschule gehen durften, hat sie sehr schockiert.“
Schwerer Start in Uruguay
In Uruguay, wo Verwandte lebten, hatte die Familie keinen leichten Start. Kurz vor der Ankunft im August 1936 sank das Schiff und mit ihm alles, was die Emigranten bei sich trugen. „Sie kamen im Pyjama an.“ Die Großmutter („Sie sprach niemals über Herne“ ) eröffnete einen Lebensmittelladen mit Restaurant, die Jungen mussten früh arbeiten. „In Deutschland wäre mein Vater zur Universität gegangen“, sagt Fanny Schnur. Mit nicht einmal 20 heiratete er eine jüdische Rumänin, ihre Mutter. In Montevideo hatte er sein Auskommen als Händler. „Wir sind in der jüdischen Tradition groß geworden“, erzählt sie. Der Besuch der Synagoge gehörte dazu, auch die jüdischen Feste wurden begangen. „Aber wir sind keine orthodoxen Juden.“ Die zweifache Mutter und dreifache Großmutter ist heute für B’nai Brith, eine jüdische Wohlfahrtsorganisation, aktiv.
Nach Deutschland fährt sie ohne Ressentiments. „Die Schoah ist in meiner Generation ein wichtiger Bestandteil unserer Geschichte“, sagt sie. Weiterzugeben, was geschehen ist, sei ein Anliegen. „Aber ich mache nicht das deutsche Volk verantwortlich.“ Dass in Herne Erinnerungstafeln die jüdischen Bürger nicht vergessen lassen, hat sie beeindruckt: „Diese Menschen verdienen unsere Anerkennung.“ Das wird sie dem zehnjährigen Enkel berichten und ihm Fotos zeigen. Denn der wartet so gespannt auf Fanny Schnurs Berichte wie sein Uropa und dessen Bruder.