Unter den Verdi-Mitgliedern herrsche nach dem Warnstreik am Mittwoch Euphorie, berichtet Hernes Verdi-Sekretär im WAZ-Interview.
Verdi hatte für Mittwoch zum zweiten Mal zum Warnstreik aufgerufen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Norbert Arndt: Unsere Leute sind geradezu euphorisiert. In dieser Tarifbewegung ist richtig Dampf und große Dynamik . Etwa 1700 Mitarbeiter haben am Warnstreik teilgenommen. Davon haben wir 1500 mit 33 Bussen von Herne nach Dortmund zur Kundgebung gebracht.
Verdi-Chef Frank Bsirske hat gesagt, dass der härteste Streik seit 20 Jahren droht. Ist das die übliche Kampfrhetorik oder die Situation so besonders?
Es ist eine besondere Situation. Die Lohnquote im öffentlichen Dienst ist seit zehn Jahren im Sinkflug. Das merken die Menschen in ihren Portemonnaies. Wir haben stellenweise dramatische Abstürze, zum Beispiel bei Busfahrern im Öffentlichen Personennahverkehr, aber insbesondere bei allen unteren und mittleren Einkommensgruppen. Viele kommen mit ihrem monatlichen Lohn nicht mehr aus.
Wird es zum unbefristeten Streik kommen?
Zunächst ist die dritte Verhandlungsrunde am 28. und 29. März abzuwarten. Wenn es kein verhandlungsfähiges Angebot gibt, rechnen wir damit, dass nach der dritten Runde die Verhandlungen für gescheitert erklärt werden. Die Arbeitgeber wollen wohl keine Schlichtung, wir auch nicht. Insofern kann es sein, dass wir unseren Mitgliedern nach Ostern in einer Urabstimmung die Frage stellen, ob sie in den unbefristeten Streik gehen wollen. So wie ich die Stimmung einschätze, wird es ein klares Votum für einen Arbeitskampf geben. Gegen Ende April könnte es zum Streik kommen. Und der könnte über Wochen gehen.
Der Warnstreik hat nicht alle euphorisiert. Gegenwind gab es von den Arbeitgebern, aber auch Eltern in Kitas waren nicht begeistert. Sie haben kritisiert, dass keine Notgruppen eingerichtet worden sind?Ich habe Verständnis für alle, die vom Streik betroffen sind. Wir haben selbst eine elfjährige Tochter, für deren Mitschülerin wir beim zweiten Warnstreik eine Mitfahrgelegenheit organisiert haben. Viele greifen zur Selbsthilfe. Gerade zu Beginn eines Arbeitskampfes sind die Menschen sehr kreativ. Aber jenseits der veröffentlichten Meinung hält sich die Kritik in einem vertretbaren Rahmen. Wir können aber nur alle um Verständnis und Solidarität bitten. Wir haben keine andere Möglichkeit als den Streik, wenn die Arbeitgeber uns nicht entgegenkommen.
Das ist unbestritten. Aber andere Städte wie Gelsenkirchen oder Mülheim haben trotzdem Kita-Notgruppen eingerichtet.
Wir haben diese Frage zu Beginn des Arbeitskampfes mit der Verdi-Fachgruppe der Erzieherinnen diskutiert. Und ich muss Ihnen sagen: Es ist schlichtweg abgelehnt worden. Einhellige Meinung war: Wir reden erst über Notgruppen, wenn wir in den unbefristeten Streik eintreten würden.
Vom Arbeitskampf zum Arbeitsmarkt: Verdi hat vor einem Jahr in Herne einen Sozialreport veröffentlicht. Das damalige Fazit: „Wenn wir uns nicht wehren, gehen wir vor die Hunde.“ Gilt das auch heute noch?
Die soziale Lage verschlechtert sich für große Teile der Herner Bevölkerung . Wir sind bei vielen sozialen Parametern im Rückwärtsgang. Die Massenarbeitslosigkeit hält sich seit Jahren bei 11- bis 12 000. Viele Arbeitslose tauchen in der Statistik gar nicht auf. Für viele Menschen, besonders für alleinerziehende Mütter, ist die Lage bedrückend. Das hat Auswirkungen auf die Familien: Die Gesellschaft bricht auseinander. In unserer Stadt spüren wir das wie unter dem Brennglas.
Sie haben zurzeit viele Baustellen. Gibt es einen Bereich, in denen Sie eine besonders negative Entwicklung befürchten?
Ein großer Bereich ist die Stadtverwaltung mit ihren Betrieben wie Stadtwerke oder Sparkasse. Die Stadt ächzt unter all den Einsparpaketen. Im Ergebnis ist zu sagen: Die Kommune hat nicht die Mittel, um die erforderliche soziale Infrastruktur aufrecht erhalten zu können. Das liegt aber nicht an zu hohen Löhnen im öffentlichen Dienst oder weil die Herner über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Herne geht am Bettelstab, weil das Geld in Bankenrettung und zu den Superreichen abfließt.
Trotz der Sachzwänge haben Sie harsche Kritik daran geübt, dass die Stadt Herne die Zahl der Auszubildenden und der Übernahmen nach der Ausbildung reduziert.
Wir kritisieren, dass man sich der Sachzwanglogik fast kritiklos unterwirft und gleichzeitig die Haushaltslöcher immer größer werden. Das Problem sind ja nicht nur die Einsparungen. Man muss ja auch sehen, dass die Mittel fehlen, um wichtige Infrastrukturmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Schauen Sie sich nur mal den Zustand der Schulgebäude an: Da müssen Hausmeister aus Sicherheitsgründen Fenster zuschrauben. Von Jahr zu Jahr verfällt öffentliches Eigentum immer mehr.
Eine große Baustelle war 2008 der Allgemeine Soziale Dienst der Stadt. Mitarbeiter und Verdi haben damals wegen der Arbeitsbedingungen Missstände öffentlich gemacht. Daraufhin sind Reformen eingeleitet worden. Wie ist der heutige Stand?
Wir sind auf einem guten Weg. Damals waren alle vor dem Hintergrund einiger Fälle von Kindstötung hoch sensibilisiert, denn es hätte ja auch in Herne was passieren können. Unsere Mitglieder in diesem Bereich sind der Meinung, dass an der einen oder anderen Stelle noch einiges gemacht werden könnte. Ich bin aber überzeugt davon, dass die Maßnahmen mit dem beschleunigten sozialen Zerfall nicht Schritt halten können, wenn sich die finanziellen Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern.
Im WEZ haben Stadtmitarbeiter Alarm geschlagen, weil es über Jahre eine zunehmende Zahl von Krebsfällen gegeben haben soll.
Das WEZ ist ein großes Verwaltungsgebäude. Normalerweise hätte die Bude schon bei dem geringsten Verdacht dicht gemacht werden müssen.
Hat die Stadt, hat der Personalrat zu lange gezögert?
Nein. Der Personalrat hat sich sofort auf das Thema gestürzt. Es gibt ja inzwischen Gutachten, dass so gut wie keine krebserregenden Stoffe verarbeitet worden sein sollen. Aber ich habe Verständnis dafür, dass die Mitarbeiter skeptisch sind. Hier ist äußerste Sensibilität erforderlich.
Man hat den Eindruck, dass das Verfahren erst durch die Initiative der CDU beschleunigt worden ist.
Das kann ich schwer beurteilen. Ich hätte es natürlich lieber gesehen, wenn Mitarbeiter aus dem WEZ sich erst einmal bei uns gemeldet hätten. Dann hätten wir die notwendigen Schritte eingeleitet. Aber manchmal ist es eben auch erforderlich, egal über welche Wege, Öffentlichkeit herzustellen, um einen gewissen Druck zu entwickeln und Prozesse zu beschleunigen.
Wie beurteilen Sie die Arbeit von OB Horst Schiereck: Ist er für Sie eher Partner oder Gegner?
(denkt lange nach) Wir haben zu Horst Schiereck einen sachlichen, kritisch-konstruktiven Arbeitskontakt. Es gibt aber immer auch schwierige Phasen, in denen wir uns in den Haaren liegen. Aber der Gesprächsfaden ist nie abgerissen. Das gilt auch für SPD-Fraktions-Chef Frank Dudda.