Herne. .

„Ich bin es leid, den Kopf für eine verfehlte Politik hinzuhalten und mit den Patienten zu diskutieren“ – Allgemeinmediziner Dr. Markus Bruckhaus-Walter sitzt in seiner Praxis und ärgert sich über das System. Jüngst gab’s mal wieder einen Vorschlag der Politik, wie das Gesundheitssystem reformiert werden könnte. Nun nimmt Markus Bruckhaus-Walter Stellung. Nicht als Funktionär, der für alle spricht, sondern als Praktiker, der von seinen Erfahrungen berichtet. Ein Gespräch darüber, wie sich der Job in den vergangenen Jahren verändert hat, und über mehr Eigenverantwortung für Patienten.

Gibt es die Zwei-Klassen-Medizin?

Bruckhaus-Walter: Eigentlich haben wir sogar eine Vier-Klassen-Medizin. Neben der gesetzlichen und der privaten Versicherung gibt es viele verschiedene Formen von Zusatzversicherungen. Nur ist das von der Politik so gewollt und die Politiker schieben den schwarzen Peter immer den Ärzten zu. In Deutschland ist jedem Patienten der Zugang zu den von den Kassen anerkannten Diagnostik- und Therapieoptionen möglich. Je nach geografischer Lage kommt es zu unterschiedlicher Inanspruchnahme. Durch Budgetierung und Regressandrohungen (etwa, wenn der Arzt für zu häufig oder zu teuer verordnete Medikamente und Krankengymnastik die Kosten aus eigener Tasche zahlen soll) ist der Mediziner in seiner Therapiefreiheit erheblich eingeschränkt.

Wie lange muss man bei Ihnen denn auf einen Termin warten?

Wir bieten, wie auch die meisten meiner Kollegen, jeden Tag Notfallsprechstundenzeiten an. Natürlich kann es zu Wartezeiten kommen, aber dabei handelt es sich im Zweifelsfall saisonal bedingt, etwa nach Wochenenden, um ein bis zwei Stunden, nicht um Tage. Der Tag hat nur 24 Stunden. Pro Patient gibt es vorgeschriebene Zeitfenster. Dadurch erklärt sich, wenn Ärzte Patienten nicht mehr annehmen können oder vermehrt ihre Praxis schließen. Nicht weil sie wollen, sondern weil sie sonst umsonst arbeiten müssten.

Wie hat sich der Job des Mediziners verändert?

Früher waren wir Partner und haben die Menschen in ihren gesundheitlichen Notsituationen begleitet. Heute sind wir Leistungserbringer für medizinische Verschreibungen. Mit der jetzigen Bürokratie kann ich nur rund 75 Prozent meiner Arbeitszeit den Patienten widmen, 25 Prozent der Zeit brauchen wir für Verwaltungsaufgaben. Mittlerweile sind Praxen mittelständische Unternehmen geworden.

Ärzte beklagen schlechte Bezahlung ihrer hochqualifizierten Leistungen...

Als „Flatrate-Doktor“ erhalten sie pro Quartal je nach Alter zwischen 70 und 75 Euro Grund- und Versichertenpauschale. Wenn man gegenrechnet, was im Handwerk, beim Steuerberater oder Rechtsanwalt die Stunde kostet, dann sind 70 Euro unangemessen. Dafür könnte der Patient theoretisch jeden Tag drei Monate lang in die Praxis kommen.

Tun sie das denn?

Früher ist viel öfter die Familie eingesprungen. Durch die hervorragende Medizin werden die Menschen älter, aber auch bestimmte Krankheiten nehmen zu. Hinzu kommen wohlstandsbedingte Erkrankungen und unfallträchtige Freizeitsportarten. Vermehrte private wie berufliche Überlastungen spiegeln sich in nicht organischen Erkrankungen wieder. Dabei geht es auch um die psychosoziale Behandlung. Ich führe Hausbesuche durch, wenn sie medizinisch notwendig sind. Leider führte die Versicherungskarte zur Mentalität: „… das steht mir zu.“ Häufig wird zu wenig bedacht, dass es eine Eigenverantwortung sich und der Solidargemeinschaft gegenüber gibt. Viele Patienten verstehen nicht, dass Arztpraxen heute wirtschaftlich geführt werden müssen, um auch in Zukunft für sie da sein zu können. Das momentane System lässt uns keine andere Wahl.