Herne. . Im Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung sprach Peter Keup über sein Leben und seine Flucht in der DDR. Die Schüler waren sichtlich beeindruckt.

In D109 ist es still, beeindruckend still. 80 Schüler sitzen in einem Raum, der gerade groß genug ist, um allen Platz zu bieten, und sagen kein Wort. Sie sind aufmerksam, geradezu gebannt, weil vorne einer spricht, dem sie zuhören wollen: Peter Keup. Einst gescheiterter DDR-Flüchtling, Stasi-Gefangener und am Montagmorgen Zeitzeuge im Berufskolleg am Westring.

„Ich habe das als kleines Kind natürlich noch nicht mitbekommen“, sagt Peter Keup gleich zu Beginn seines Fluchtberichtes. Er spricht vom Mauerbau vor gut 50 Jahren, den das Berufskolleg in Kooperation mit dem Verein Deutsche Gesellschaft zum Anlass genommen hat, die Geschichte der DDR aufzuarbeiten. Nicht mit drögen Lehrbüchern, nicht im Geschichts- oder Politik-Unterricht, sondern, im wahrsten Wortsinn, ganz lebendig. Mit Peter Keup.

53 Jahre ist der Zeitzeuge heute alt, und auch wenn er den Mauerbau als Kind kaum wahrgenommen hat, zu berichten hat er eine ganze Menge: von Schulalltag und Jeans-Verboten, von seiner DDR-Jugend in Radebeul bei Dresden. Vor allem erzählt Keup aber davon, wie er das alles nicht mehr ausgehalten hat. „Ich kam nicht weiter“, sagt der Essener, „da war mir klar: Ich muss weg.“ 1981 war das, Peter Keup Profitänzer und in der Nationalmannschaft der DDR. Nur ließ der Staat ihn nicht tanzen, wo er wollte. Zu einem Turnier in Österreich sollte es gehen, die Ausreise wurde nicht genehmigt, Keups Karriere: blockiert. Ein Schlüsselerlebnis. Er beschließt zu fliehen.

Für die, die Freiheitsentzug und Flucht nur aus Filmen und Geschichtsbüchern kennen, ist das kaum zu fassen. Umso erstaunlicher, dass gleich 80 Schüler den Weg in Raum D109 gefunden haben. Denn die Teilnahme am Zeitzeugen-Gespräch ist freiwillig. „Am Ende musste ich sogar auslosen“, sagt Politik-Lehrerin Kathrin Schott, so viele Interessenten habe es gegeben.

„Ich habe 80 D-Mark in meine Klamotten eingenäht“, fährt Keup in seiner Erinnerung fort, damit sollte es in die Tschechoslowakei und nach Ungarn gehen, von da durch die Donau nach Österreich. „Was hat denn Ihre Familie dazu gesagt?“, fragt eine Schülerin. „Nur meine Freundin und meine Mutter wussten davon“, antwortet er, „sonst hätten sie die alle wegen Mitwisserschaft drankriegen können.“ Verständnisvolles Nicken in der Zuhörerschaft, sie wissen schon, dass Keups Plan scheitert.

An der Grenze zur Tschechoslowakei wird der Tänzer festgenommen und zwei Tage lang von der Stasi verhört. „Irgendwann wird es dann unerträglich“, sagt Keup und schaut auf den Schultisch vor sich. Er gesteht. „Scheiße“, raunt einer aus der dritten Reihe und meint das mitfühlend. Neun Monate sitzt Keup in Haft, teilweise isoliert, dann kauft ihn die Bundesrepublik wie viele andere frei. Für 40 000 Mark. „Mich gab es im Sonderangebot“, sagt er grinsend. Galgenhumor.

Gut eine Stunde spricht er im Berufskolleg, eine düstere Geschichte, aber so war es eben. „Ich hatte nie eine richtige Berührung mit diesem Thema“, sagt Anna Schewe hinterher, eine der Freiwilligen, die vorher aufmerksam zugehört haben. Als die Mauer fiel, war die Schülerin gerade zwei Jahre alt. Eine Vorstellung habe sie schon gehabt, aber: „Dass es so krass war, hat mich schon überrascht.“

Noch 1982 wird Peter Keup aus dem Gefängnis entlassen, er reist aus und zieht nach Essen. Das Ende einer Flucht, die einen Filmstoff hergeben würde. In D109 klatschen sie jetzt.