Herne. .
Die Klasse 4a der Grundschule am Berliner Platz unterhält eine Brieffreundschaft mit einer japanischen Schule. Die Kinder erfahren auf diese Weise viel vom Tsunami und dem Reaktorunglück.
Brieffreundschaft. Das klingt ein bisschen verstaubt in Zeiten intensiven E-Mail-Verkehrs. Umso ungewöhnlicher ist die Beziehung, die zwischen der Klasse 4a der Grundschule Berliner Platz und einer High School im japanischen Miyagi entstanden ist. Echte Briefe gehen hin und her, von Hand geschrieben und liebevoll mit Zeichnungen gestaltet.
Der Altersunterschied ist beträchtlich. Die Jungen und Mädchen aus Herne sind um die zehn Jahre alt, ihre Freunde in Japan schon 17 oder 18, und sie haben etwas aus der Nähe erlebt, von dem die Grundschüler im März in den Nachrichten gehört haben: Im nur etwa 80 km entfernten Fukushima löste ein Erdbeben die Reaktorkatastrophe aus. Ein Ereignis, das in den Briefen erwähnt wird, die dennoch voller Zuversicht sind. „Ich habe viele schreckliche Dinge erlebt bei dem Tsunami“, schreibt etwa Shiori, „aber ich gebe nicht auf und lebe mit Hoffnung.“ Während sich die japanischen Schüler vorwiegend des Englischen bedienen und dabei schon mal ein „Dankeschön“ einschieben, antworten die Herner Kinder auf Deutsch mit ein paar Worten Englisch („Mynameis Tuba. I’m a girl.“).
Übersetzt werden die Briefe in die eine und die andere Richtung von Björn Esser (31). Der Grundschullehrer nahm im April mit einem japanischen Lehrer Kontakt auf, den er aus Musikerkreisen kannte (siehe Kasten). Der wiederum nannte ihm einen Kollegen in der Präfektur Miyagi, die von dem durch das Erdbeben ausgelösten Tsunami schwer getroffen worden war.
Nachdem zunächst Briefe an die Gruppe gesandt wurden, haben sich inzwischen Partner gefunden, die sich persönlich kleine Nachrichten schicken. Megumi an Berfin, Shiori an Leyla, Tuba an Ryuta… Zeichnungen spielen eine große Rolle. Immer wieder tauchen die japanische und die deutsche Flagge auf, es gibt Diddl-Mäuse und Meerschweinchen, Fotos und sogar ein Lineal wurden aufgeklebt. Bei den Herner Kindern besonders beliebt sind Mangas, japanische Comic-Zeichnungen. „Kannst du für mich Akios malen“, bittet ein Grundschüler, „damit ich bei meinen Freunden angeben kann?“
„Wenn wir die Briefe geschrieben haben, war in der Klasse eine besondere Stimmung“, berichtet Björn Esser. „Die Kinder haben sonst keinen direkten Kontakt zu Menschen in entfernten Ländern.“ Während Ereignisse wie das Tsunami-Unglück normalerweise leicht wieder aus dem Bewusstsein verschwänden, erlebten die Schüler jetzt „eine tiefere Verbundenheit“, zumal sie davon gehört hatten, dass ein Schüler sogar sein Leben verlor.
Erstaunt registrierte der Lehrer, wie auch schwache Schüler sich viel Mühe gaben. Sehr sensibel hätten einige auf die Lebensumstände der anderen reagiert, sagt er. Und da „Briefe schreiben“ ohnehin in den Grundschul-Richtlinien vorgesehen ist, verbindet sich das Angenehme mit dem Nützlichen. Björn Esser: „Sonst überlegt man sich Anlässe. Dieses ist viel authentischer.“