Herne. .
Vor 100 Jahren - am 14. Oktober 1911 - wurde der Kaisergartensaal eröffnet. Das alte Gebäude gibt es seiner ursprünglichen Form nicht mehr, doch damals wie heute ist der Ort ein kulturelles und gesellschaftliches Zentrum.
„Alles in allem ist die Innenwirkung des Gebäudes die denkbar beste, so daß man mit berechtigtem Stolz von einem schönen Saalbau reden kann, der durch die vornehme und einfache Schlichtheit wohl auf jeden Besucher eine angenehme Wirkung ausüben muss.“ Das schrieb ein unbekannter Autor am Dienstag, 17. Oktober 1911, in der Wanner und Eickeler Zeitung. Seine lobenden Worte galten dem Kaisergartensaal, der drei Tage zuvor, am 14. Oktober, unter reger Anteilnahme der Bevölkerung inmitten des Wanner Kaisergartens an der Wilhelmstraße eingeweiht worden war. Dass sie mit dem Bau ein kulturelles und gesellschaftliches Zentrum schaffen würden, das noch heute, 100 Jahre später, genau diesen Zweck erfüllt, haben sich die Wanner Stadtväter wohl auch nicht träumen lassen.
Mehrfach hat der Kaisergartensaal, den sich die Gemeinde Wanne stolze 100 000 Mark kosten ließ, den Namen gewechselt: vom Kaisergartensaal zum Stadtgartensaal, zum Städtischen Saalbau, zum Mondpalast von Wanne-Eickel. In seiner wechselvollen Geschichte spiegelt sich auch die des Ruhrgebiets wider: 1923 musste er als Quartier für die französischen Soldaten während der Ruhrbesatzung herhalten, 1944 legten ihn Brand- und Sprengbomben in Schutt und Asche. In der noch nutzbaren Gaststätte bezog nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Wanne-Eickeler Polizei Station, im Zugang zum Saalbau entstanden Arrestzellen. Am 7. Oktober 1951, fast exakt 40 Jahre nach seiner Einweihung, wurde er als „Stadtgartensaal“ neu eröffnet: „Möge er einer aufgeschlossenen Bevölkerung in der Hast unserer Tage die Erhabenheit der Kunst näherbringen“, hoffte der Wanne-Eickeler Anzeiger.
Stars wie Maria Schell und Theo Lingen
Und die Wanner, sie zeigten sich aufgeschlossen. Sie kamen nicht nur zu den Aufführungen der ortsansässigen Laienbühnen wie der „Volksbühne Körner“ oder „Fidele Horst“, sondern auch zu Konzerten, Gesangsabenden und den Aufführungen von Tourneetheatern. Viele Stars von Bühne, Film und Fernsehen gaben sich im Saalbau die Ehre, ob die Schauspieler Maria Schell, Theo Lingen oder Sonja Ziemann, die Sänger Hermann Prey und Erika Köth.
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Seine Glanzzeit, so Stadtarchivar Manfred Hildebrandt, erlebte der Saalbau in den 60er/70er Jahren. Nachdem bereits 1967 Saal- und Bühnenfunktionen auf den neuesten Stand gebracht worden waren, entschloss sich die damals noch selbstständige Stadt Wanne-Eickel Mitte der 70er Jahre, den Saalbau aus- und umzubauen. 3,25 Millionen DM wurden allein in den Anbau investiert. Als der Saalbau am 30. September 1975 wieder eröffnete, bot er im Saal 544 Plätze, 350 weitere im Foyer. Die Restauration konnte 45 Gäste bewirten, im Gesellschaftsraum fanden noch einmal 50 Platz. Zur Premiere wurde übrigens das Stück „Rheinpromenade“ aufgeführt - mit Elisabeth Wiedemann und Benno Sterzenbach in den Hauptrollen.
Am 18. August 1981 dann der Schock: Bei Arbeiten zur Verbesserung des Brandschutzes entstand ein Feuer, der Theatersaal brannte aus. Zwei Millionen DM waren nötig, um den Saalbau wieder aufzubauen und 1983 ein weiteres Mal neu eröffnen zu können. „Wegen der guten Besucherzahlen gehört der Saalbau zu den relativ gering subventionierten Bühnen des Landes“, hieß es damals in der WAZ.
Neues Leben als Volkstheater
Der Saalbau war nicht nur Bühne für Kulturinteressierte, sondern Veranstaltungsstätte für vielerlei – von Parteitagen bis zu Silvesterbällen, von Tagungen bis zu Podiumsdiskussionen, von Geburtstagsfeiern bis zu Jazz-Matineen. Dennoch: Wirtschaftlich rechnete sich sein Betrieb nicht.
Und dann trat Christian Stratmann auf den Plan. Gemeinsam mit seinem Bruder Ludger betrieb er in Essen das Theater im Europahaus, suchte aber eine geeignete Spielstätte für seinen Lebenstraum: ein eigenes Ruhrgebiets-Volkstheater. Dagmar Goch, Hernes damalige Kulturdezernentin erfuhr davon und bot Stratmann den Saalbau an.
Am 10. Mai 2003 war der Deal perfekt: „Der Saalbau wird zum Mondpalast“, titelte die WAZ damals. Acht Monate später, am 28. Januar 2004, hob sich der Vorhang für die Premiere von „Ronaldo und Julia“, einer Fußballkomödie aus der Feder von Ruhrgebietsautor Sigi Domke.
Mehr als 700 000 Zuschauer
Was anfangs noch skeptisch beäugt wurde, ist inzwischen aus Wanne-Eickel, ja aus dem ganzen Ruhrgebiet, nicht mehr wegzudenken. Stratmann ist der erste, dem es überhaupt gelungen ist, längerfristig ein festes Profi-Ensemble an der Wilhelmstraße zu etablieren; selbst kurz nach Gründung des Kaisergartensaals waren entsprechende Versuche fehl geschlagen, die Konkurrenz durch die damals schon etablierten Häuser im Umfeld war zu groß. Doch mit seinem Volkstheater, „das in liebevoller Form die Ruhrgebietsmentalität widerspiegelt, das den Menschen hier eine Identifikationsmöglichkeit gibt und Außenstehenden die Chance, sie kennen zu lernen“, ist Stratmanns „Mondpalast“ einzigartig und braucht keine Konkurrenz zu scheuen.
Deutlich über 700 000 Besucher sind seit Januar 2004 in den „Mondpalast“ gekommen, der seinen Namen in Anlehnung an den „Mond von Wanne-Eickel“ erhalten hat; am 3. November feiert mit „Anne Tanke“ die neunte Inszenierung Premiere.
Ein munteres, 100-jähriges Geburtstagskind, dieser Kaisergartensaalbaumondpalast.