Herne. .
Die Herner Piraten wittern mit dem Umfragehoch auf Bundesebene wieder Morgenluft. Mit einem Informationsstand warben sie nun erstmals nach der Berlinwahl für ihre Ziele. Ihr Kurs ist klar: Sie wollen den Rat entern.
Da steht Sebastian Fedrau, einer der jungen gar-nicht-so-Wilden, als ihm etwas auffällt: „Ich hab’ gar kein Namensschild.“ All die anderen Piraten, die an diesem hochsommerlichen Herbst-Samstag erstmals nach den jüngsten Wahlerfolgen mit einem Stand auf der Bahnhofstraße für sich werben, tragen eins am Revers. Also bastelt Bernd Schroeder, Hernes Ober-Pirat, schnell eins nach. Fedrau steckt es sich ans Hemd. „Boah“, staunt der, „das ist ja schon halb professionell. Fast so schlimm wie ein Schlips.“
Erfolg haben sie ja jetzt. Neun Prozent bei der Berlinwahl, Umfragehoch im Bund – in Herne sind sie ganz außer sich. Den „Durchbruch“ nennt Schroeder das. Die Herner fühlen sich wie wiederbelebt. Nach vielbeachtetem Start war die Euphorie in den letzten anderthalb Jahren bald verflogen, die Partei dümpelte vor sich hin. Doch nun soll alles anders werden: Der dienstägliche Stammtisch im „Ritchies“ soll wieder an Bedeutung gewinnen, die Piraten wollen sich in Debatten einmischen. Sie wittern eine Chance: Nach Berlin könnten sie endlich wegkommen vom Image, die Partei der Computerfreaks zu sein. In Herne fordern sie deshalb „mehr Bürgerbeteiligung“ und noch mehr „Transparenz“. Und „die ganzen Erstwähler“, glaubt Schroeder, „wählen uns sowieso“. Nur – um bei den nächsten Wahlen 2013 und 2014 wirklich gut abzuschneiden, müssen sie im Gespräch bleiben.
Deshalb stellen sie sich nächstes Wochenende noch mal in die Innenstadt, so ein Piratenstand wirkt auf viele Passanten in diesen Tagen wie ein Magnet. Vielleicht liegt das auch daran, dass Piraten zuletzt in den Talkshows saßen, dass die politische Szene ernsthaft über die „Neuen“ diskutierte und sie nicht mehr wie Schmuddelkinder wirken. Schon 2009 gab es viele Sympathisanten, sagen sie, aber viele hätten sich doch nicht getraut, die Piraten auch zu wählen. Das sei jetzt anders. „Wir erreichen viele Nichtwähler“, sagt Schroeder. „Deshalb werden wir in Zukunft eine feste Größe in der deutschen Politik sein.“
Doch auch ihr Erfolg kennt Grenzen. Wirklich alle Nichtwähler erreichen nicht mal sie. Da kommt ein alter Mann an den Stand in der Fußgängerzone, vor sich ein Rollator, am Kragen ein Button mit drei schwarzen Punkten auf gelbem Grund. „Was habt ihr denn so vor?“, fragt er interessiert in die Runde. „Wir wollen alles anders machen“, antwortet Sebastian Fedrau. „Das haben sie doch alle gesagt“, erwidert der Greis. „Seit Adolf Hitler gehe ich in keine Partei mehr rein.“