Herne. Drei Tage lang wurden Neunt- und Zehntklässler der Förderschule Victor-Reuters-Straße Eltern auf Zeit: Sie betreuten PC-gesteuerte Baby-Puppen.
Es ist drei Uhr mitten in der Nacht und man schläft tief und fest. Plötzlich fängt das Baby an zu schreien. Man steht auf und nimmt es in den Arm, gibt ihm das Fläschchen, guckt, ob die Windel gewechselt werden muss. Vielleicht möchte es nur gehalten werden? Was es auch ist: als gewissenhafte Mutter oder fürsorglicher Vater muss man auf die Bedürfnisse des Säuglings eingehen.
Einer solchen Situation waren Neunt- und Zehntklässler der Förderschule an der Victor-Reuters-Straße ausgesetzt – mit PC-gesteuerten Babyattrappen. Drei Tage und zwei Nächte kümmerten sich die 13 Schüler um die quengelnden Babypuppen, die das „Projekt: Baby!“ vom Verein Welle e.V. bereitstellte. Schulleiter Frank Schilf organisierte das Projekt im Rahmen der Gesundheitswoche.
Alleine oder zu zweit sorgten die Förderschüler, die freiwillig teilnahmen, für ihr Baby auf Zeit. Hautnah erlebten sie, wie es sich anfühlt, Verantwortung für ein „Menschenleben“ zu übernehmen. Wenn der Säugling anfing zu schreien, mussten sie zunächst herausfinden, was er braucht. Essen? Eine neue Windel? Möchte er ein Bäuerchen machen? Oder will er im Arm gehalten werden? Besonders anstrengend sei es nachts gewesen, wenn das Baby die Schüler wach gehalten oder aus dem Schlaf gerissen hat, berichten die Teilnehmer. Patrik (17) blieb sogar die ganze Nacht wach, um bereit zu sein, falls der Säugling sich meldet.
„Ich hörte das Atmen meines Babys nicht mehr“, sagt Eileen (17). Sie rief das Baby-Telefon an, eine Nummer, die man bei Problemen wählen konnte. Projektleiter Egon Heinze half am Telefon aus – das Baby war in Ordnung, die Schülerin konnte aufatmen. Zusammen mit seiner Kollegin Kathrin Schinski leitete er die Jugendlichen durch die drei Tage. Täglich gab es eine Auswertung. Ein Chip in der Puppe lieferte Informationen über das Vorgehen der Schüler. Haben sie es richtig gehalten, seine Bedürfnisse befriedigt, schnell genug reagiert? So erfuhren die Teilnehmer, wie sie mit dem Säugling umgegangen sind. Bei einigen war das Ergebnis so gut, dass sie einen höheren Schwierigkeitsgrad wollten. Nun quengelte das Baby noch häufiger.
„Planung muss sein“, sagt Egon Heinze. „Und zwar noch bevor das Baby auf der Welt ist“, fügt er hinzu. Ziel des Projektes ist es, die Teilnehmer auf ihre Lebens- und Familienplanung vorzubereiten.
„Man sollte sich Zeit lassen mit dem Kinderkriegen“, stellt der 16-jährige Dragan fest. Es sei aber eine gute Erfahrung gewesen. Am Ende wollten einige das Baby gar nicht mehr zurückgeben, so sehr war es ihnen ans Herz gewachsen.