Herne. .

Der neu gegründete adhoc Verlag hat ein Buch zu Geschichte und Bedeutung des Bergbaus in Herne und Wanne-Eickel auf den Markt gebracht. Es knüpft an das Kulturhauptstadt-Projekt „Schachtzeichen“ an.

Zwischen der ersten „Mutung“ der späteren Schachtanlage „Shamrock“ und der letzten Grubenfahrt auf „Friedrich der Große“ liegen um die 120 Jahre Herner Geschichte. Wie viele Männer zwischen 1856 und 1978 eingefahren sind, hat noch keiner gezählt, doch kaum eine Familie, die nicht einen Bergmannvorzuweisen hat.

Faktisch verschwunden, lebt der Bergbau im kollektiven Gedächtnis Hernes weiter, was im Mai das große Echo auf das Ruhr.2010-Projekt „Schachtzeichen“ bestätigt hat. Der Historiker Ralf Piorr (44), damals verantwortlich für die Ballon-Aktion in Herne, hat an seine Recherchen angeknüpft und mit „Vor Ort. Geschichte und Bedeutung des Bergbaus in Herne und Wanne-Eickel“ ein Buch vorgelegt, das in Inhalt und Form Neuland betritt.

Schon zu „Schachtzeichen“-Zeiten zeichnete sich ab: Es gibt noch viel Stoff, der erzählt werden will. Erinnerungen, die in Kladden, Alben und Köpfen derer abgelegt sind, mit denen Ralf Piorr ins Gespräch gekommen war. Der zugewanderte Niedersachse, der bisher u.a. die Geschichte der Juden in Herne und des Herner Fußballs aufgearbeitet hat, hatte bis dahin keinerlei Bezug zum Bergbau. Jetzt hatte „ein Wärmestrom“ ihn erfasst, den aufzunehmen er bereit war.

In der Herner Grafik-Designerin Kerstin Rau (43) und WAZ-Redakteur Kai Wiedermann (38) fand Piorr interessierte Partner. Zusammen entwarf man ein Konzept. Ralf Piorr und Kerstin Rau gründete den adhoc Verlag, der nur ein halbes Jahr nach „Schachteichen“ einen 224-Seiten-Band von einer für dieses Segment ungewöhnlichen Qualität vorgelegt hat. Schon gestalterisch hebt sich „Vor Ort“ von den üblichen regionalgeschichtlichen Publikationen ab. Was der Siebdruck-Einband mit dem schwarz gelackten „Flöz“ verspricht, wird im Inneren mit hochwertigem Papier, konsequentem Layout und Duplex-Fotos fortgeführt. „Wir wollten ein Lesebilderbuch machen, das in der Gestaltung ruhig und zurückgenommen ist“, sagt Kerstin Rau.„Es sollte den Fotos den Raum geben, den sie brauchen, um zu wirken.“

Private Aufnahmen vom Leben im Schatten der Fördertürme ergänzen das Bildmaterial aus Archiven. Brigitte Kraemer, Dokumentar-Fotografin aus Wanne-Eickel, hat ein Kapitel „Orte und Menschen“ beigesteuert und von Hans Blossey stammen Luftbilder, die die Perspektiven historischer Fotos aufgreifen.

„Die Bergbaugeschichte wird natürlich nicht neu erzählt“, erklärt Ralf Piorr, der vorhandenes Textmaterial gesichtet und zum Teil verwertet hat. „Die Bergbauliteratur bisher war aber entweder sehr technisch oder unheimlich anekdotisch.“ Zwischen „Schrämmhobel“ und Bergmannskuh hat er deshalb unter Mitwirkung weiterer Autoren (Jan Zweyer, Michael Clarke, Joachim Wittkowski u.a.) eine eigene Perspektive gesucht und sie gefunden.

Kernstück sind die Porträts der elf Bergwerke, die über die reine Chronologie hinaus mit Zeitzeugenberichten illustriert worden sind. Farbig wird die Zeit des Bergbaus aber vor allem durch die „Flöze der Erinnerung“ (Piorr): Männer und Frauen erzählen, wie sie als Bergmann oder Bergmannstochter, als Familienvater aus der Türkei oder marokkanischer Zuwanderer die Ära erlebt haben. Hier finden sich auch kritische Bemerkungen, etwa wenn Gisela Hoffmeister bekennt: „Die Geschichten, wie der Vater schwer gearbeitet und dabei das Steigerlied gesungen hat, sind für mich falsche Nostalgie.“ Dem nostalgischen Blick verweigert sich auch Ralf Piorr, der weiß: „Je-der Bergmann, der vor 1970 unter Tage war, hat mindestens einen tödlichen Unfall miterlebt.“ Der letzte Buchteil stellt Bezüge her zu Seitensträngen wie Literatur, Fußball und Strukturwandel.