Herne. .

Am zweiten Abend der Tage Alter Musik herrscht im Publikum gespannte Erwartung. Auf dem Programm: eine seltene Oper des Barockkomponisten Jean-Féry Rebel: Die 1703 in Paris uraufgeführte tragédie lyrique „Ulysse“.

Sie thematisiert die Affäre des aus Troja heimkehrenden Odysseus mit der Zauberin Kirke. Interpretiert wird sie von namhaften Solisten, Choeur und Symphonie du Marais unter Leitung von Hugo Reyne.

Die ganze Atmosphäre

„Das ganze Jahr wartet man ja darauf“, erzählt Irene Arends begeistert. Die ehemalige Krankenschwester aus Bochum gehört zum Stammpublikum der Herner Tage für Alte Musik: „Seit 35 Jahren bin ich regelmäßig dabei. Ich freue mich immer wieder auf die ganz seltenen Stücke und die ganz besonderen Künstler – die ganze Atmosphäre halt. Und dass es gute Sänger hier gibt, das ist ja leider schon die Ausnahme geworden.“ Die Tage Alter Musik sind zu einem Treffpunkt im Freundeskreis für sie geworden: Gertraud Jortzik aus Mülheim sieht Irene Arends jedes Jahr hier. „Ich hör’ mir das an, was mir gefällt, selbst wenn ich allein da sitzen würde“, sagt die selbstbewusste 69-jährige Bilanzbuchhalterin. Das ist freilich nicht der Fall, das Foyer des Kulturzentrums ist gut besucht. „Massengeschmack? – Das ist kein Thema für mich. Diese Art Musik geht mir wunderbar ins Ohr und tut meinem Gemüt gut. Leider ist sie kaum in einer solchen Aufführungsart und –qualität zu hören wie hier.“ Außerdem genießt sie die Gespräche mit den Konzertbesuchern: „ Es ist schön, dass ein Publikum hierher kommt, das wirklich interessiert ist – keine Schicki-Micki-Leute.“

Der 18-jährige Schüler Bernhard Deiß hat durch seinen Musikschullehrer von den Tagen Alter Musik gehört: „Ich bin jetzt zum dritten Mal hier“, meint er. Für das Stück interessiert er sich, weil sie das Thema Odysseus auch im Schultheater behandeln. „Bis jetzt gefällt’s mir gut“, schildert er seine Eindrücke, „auch wenn es anders ist, als ich dachte. Mir gefallen die Instrumente mit ihrem besonderen Klang sehr gut: Querflöten sehen auch noch richtig barock aus.“ Die Tage Alter Musik sind aber auch weit über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus eine Attraktion für Kenner und Liebhaber. Der studierte Biologe Lorenzo Horvat (52) ist aus Frankfurt angereist: „Ich hatte bis jetzt nur vage von diesem Festival gehört, aber ich kenne zwei Sänger, die hier auftreten“, berichtet er. Wie es ihm gefällt? „Ich bin glücklich: Ich freue mich, live Musik zu hören und meine Freunde wieder zu sehen. Die Musiker spielen sehr gut, lebendig. Die Ausdrucksweise ist sehr differenziert, der Chor ist klasse. Ich liebe Barockmusik seit meinem 14. Lebensjahr: Der Rhythmus des basso continuo stimmt mit dem Herzschlag überein. Barockmusik ist das Leben schlechthin für mich – wie Disco.“ Begeistert ist auch Albert Edelmann (32) aus den Niederlanden: Der Musikmanager aus Utrecht und Spezialist für Alte Musik ist nicht nur aus beruflichen Gründen hier: „Ich mag nichts lieber als Alte Musik.“ Er ist selbst ausgebildeter Musiker und beherrscht die Instrumente Klarinette und Piano, auch Gesang hat er studiert. Im Gegensatz zu den meisten Besuchern hier kannte er die Oper bereits. „Die Besetzung der Violen könnte größer sein,“ merkt er als Experte sachlich an.

Guillemette Laurens dagegen hat als Zauberin Circé mit der packenden Ausdruckskraft ihres vollen, warm leuchtenden Mezzosoprans ebenso überzeugt wie Sopranistin Stéphanie Révidat (Penelope) und Bariton Aiméry Lefèvre (Bariton). Und der spannend agierende Chor hat alle in seinen Bann gezogen.