Herne. .

Viele fordern die Helmpflicht für Fahrradfahrer. Warum der ADFC zwar den Helm empfiehlt, aber nicht die Pflicht will, hat WAZ-Mitarbeiterin Susanne Meimberg den Vorsitzenden des ADFC Herne, Ulrich Syberg (54), gefragt.

Die Diskussion um die Helmpflicht gibt es schon seit den 70er Jahren, warum ist das Thema jetzt schon wieder auf dem Tisch?

Syberg: Es kommt regelmäßig wieder, spätestens zum Schuljahresbeginn oder nach einem spektakulären Verkehrsunfall unter der Beteiligung eines Fahrradfahrers.

Diesmal setzt sich die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie für die Helmpflicht ein. Sie argumentiert, dass bei schweren Unfällen oft Kopfverletzungen über das Leben der Radfahrer entscheiden.

Klar, die Chirurgen haben einen solchen Patienten auf dem OP-Tisch liegen und können mitunter nicht mehr viel tun. Aber sie wissen nicht, wie es zu den Verletzungen oder dem Unfall selbst gekommen ist. Wenn ein Lkw-Fahrer einen Radfahrer schlicht übersieht oder es zu einem Seitenaufprall mit einem mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Pkw kommt, dann hilft auch ein Helm nichts mehr.

Soll das heißen, ein Helm bringt eh nichts?

Nein, aber man darf seine Wirkung auch nicht überschätzen. Denken Sie beispielsweise an Stefan Raab, der ist über den Lenker vornüber vom Rad gestürzt und hat sich trotz eines Helms eine Gehirnerschütterung zugezogen, weil er, wie das beim Radfahren schon mal sein kann, aufs Gesicht gefallen ist. Wo ein Helm sicher einen gewissen Schutz bietet, ist bei kleineren Unfällen, etwa beim Sturz über eine Bordsteinkante oder beim Zusammenprall mit einem Fußgänger. Aber solche Fälle werden kaum bis gar nicht statistisch erfasst.

Wenn er auch kein Allheilmittel ist, schadet der Helm aber auch nicht – und Bagatellunfälle sind doch ohnehin viel häufiger, oder?

Deshalb habe ich auch immer einen Helm auf, und der ADFC rät auch allen Radfahrern dazu, einen zu tragen. Die Helmpflicht lehnen wir trotzdem ab.

Warum?

Weil eine gesetzliche Verpflichtung kontraproduktiv wäre. Es gibt Untersuchungen aus Neuseeland und Australien, die belegen, dass nach der Einführung der Helmpflicht die Fahrradnutzung generell zurückgegangen ist. Die Gesundheitsfolgen durch die Nichtbewegung halte ich für gravierender. Im Gegenzug stellen wir fest, dass Leute mit einer verstärkten Fahrradnutzung zunehmend sicherheitsbewusster werden, bessere Räder fahren und öfter Helme tragen. Zudem macht es wenig Sinn, ein Gesetz einzuführen, dessen Einhaltung aufgrund von Personalmangel kaum kontrolliert werden kann.

2008 hat der Bundestag einen Antrag für die Einführung der Helmpflicht wegen „Überreglementierung“ abgelehnt. . .

Und sogar beim Verkehrsgerichtstag im vergangenen Jahr konnten sich 150 Experten nicht auf die Empfehlung einer Pflicht einigen. Diese war von Verkehrsrichtern gefordert worden, was zeigt, worum es bei der Debatte wirklich geht: Es geht um die Hoffnung auf eine einfachere Klärung der Schuldfrage bei Unfällen.

Wenn ich einen Helm kaufen will, worauf muss ich achten?

Darauf, dass er gut passt, sich gut schließen und verstellen lässt. Außerdem sind Leichtigkeit und Belüftung wichtig. Inzwischen gibt es sowohl farblich als auch preislich keine Grenzen mehr. Auf einer gerade laufenden Trendmesse zum Fahrrad in Friedrichshafen werden heiße Modelle präsentiert.Da sollte doch was für jeden dabei sein. Man sollte sich beraten lassen und zwischen 50 und 80 Euro investieren.

Während kleine Kinder und Erwachsene häufiger Helme tragen, sieht es bei Jugendlichen und Twens ganz anders aus. Warum?

Wir beobachten tatsächlich, dass mit dem Einsetzen der Pubertät das Helm tragen nachlässt. Bei den Jüngeren greifen offenbar noch Elternhaus und die Verkehrserziehung in der Schule, dann kommt, etwa ab einem Alter von 14 oder 15 Jahren, ein Loch, und erst in der familiären Phase, bei den 25- bis 35-Jährigen, steigt die Helm-Akzeptanz dann wieder.

Liegt das an Eitelkeiten und der Sorge, nicht „angesagt“ auszusehen?

Das kann gut sein, das Helm tragen ist dann offenbar uncool, wobei es inzwischen sehr schicke Helme gibt und zum Beispiel echte Mountainbiker nie ohne Helm fahren würden. Also ist das bis zum 13. oder 14. Lebensjahr kein Problem. In der Pubertät nimmt aber nicht nur die Bereitschaft ab, einen Helm zu tragen, sondern auch die, überhaupt Fahrrad zu fahren.

Wie kann man ihrer Meinung nach gegenarbeiten?

Da ist die Mobilitätserziehung an Schulen gefragt, Konzepte gibt es genug. Fahrrad fahren muss einfach sexy werden und unter einem Helm kann auch eine Kurzhaarfrisur oder ein Pferdeschwanz super aussehen.

Jedenfalls sollte der Eigenschutz trotz allem deutlich höher angesehen werden als die Frisur.