Herne. .
So griesgrämig kann keiner sein: Selbst notorischste Nörgler mussten zugeben, dass das Asphalt-Picknick auf der alten B1 eine richtig schöne Sache war. Und obwohl Herne an der Emscher liegt und nicht am Ruhrschnellweg, war die Stadt stark vertreten beim Still-Leben.
Erster Stopp nahe der Ausfahrt Bochum-Freudenbergstraße. Die Musikschul-Belegschaft sitzt schon gemütlich auf der Holzbank und zupft an diversen Gitarren. „Setz Dich zu uns“, sagt „Cheffe“ Christian Ribbe. Gesagt, getan, aber: „Nein, nicht da, da biste schon bei den Linken.“ Die sonnen sich nämlich am Nachbarstisch. Der Tisch auf der anderen Seite ist mittags noch verwaist. Eigentlich sollte hier der Fachbereich Kultur Platz nehmen. „Die haben den Weg wohl nicht gefunden“, vermutet eine. Plötzlich kommt ein Mann in einer fahrenden Mülltonne vorbei. Er heißt Frank Hoffmann, hat mal in Herne gelebt und als Clown in seiner Wahlheimat Hattingen lokale Prominenz erreicht. Hoffmann macht Späßkes mit den Leuten, nun ruft er: „Jetzt hören wir den Stillleben-Blues in A“, Ribbe gibt den Takt vor, Hoffmann swingt mit. „Sie hören nicht WDR 2, sondern die Musikschule Herne!“ Schnell bildet sich eine Traube, dutzende Menschen singen mit. Auf der Fahrradspur gegenüber staut sich der Verkehr, alle lauschen dem Spontan-Jam. Auch Bärbel Beuermann, die Spitzenfrau der Linkspartei in NRW, schnippt und wippt mit.
Weiter geht’s in Fahrt-, pardon: Gehrichtung Essen. Überall singt und sitzt, geht und steht irgendwer. Jungs und Mädels von Pottfiction, dem Zusammenschluss mehrerer Jugendprojekte, zu dem auch das Theater Kohlenpott gehört, meditieren mitten auf der Straße. Dabei halten sie Schilder hoch: „Augen zu. Mund zu. Glück auf!“ Währenddessen wird der Besucher-Mahlstrom immer zäher, langsamer. „Auffe 40 is ehm doch imma Stau“, witzelt einer – der Scherz wird nicht lustiger, wenn man ihn zum zehnten Mal hört. Manche schieben die Schuld auf Kinderwagen, davon gibt es gefühlte vier pro Quadratmeter.
Heiß ist’s und ergo Zeit für den nächsten Stopp. Volker Ittermann aus Eickel hätte wohl nicht gedacht, dass er mal unter der Brücke landet: Der Tisch, den er zusammen mit seinen Kollegen von schwul-lesbischen Fanclub „Andersrum auf Schalke“ reserviert hat, steht direkt in einer Unterführung im Halbdunkel. Die Fahrradklingeln echoen an dieser Stelle besonders laut. „Immerhin ist es schön schattig hier“, sagt Ittermann. Die Fußball-Freunde haben Plastikdosen dabei mit lauter Tapas drin, „weil Raul bald von Real Madrid nach Schalke kommt“. „Diese spanischen Schweinereien sind wirklich gut“, sagt einer. Mit „Schweinereien“ meint er Datteln im Speckmantel, und die Geschmacksprobe ergibt: Stimmt!
Weiter geht’s. Hinter der Ausfahrt Bochum-Hamme sorgt sich die Kolpingsfamilie Wanne-Eickel Zentral um die Physis der Wanderer und offeriert Melonenstückchen. Für Leute, die kein Obst mögen, gibt es Schmalzstullen. Nach all den Snacks und Erfrischungen ist’s jetzt mal Zeit zum Austreten. Toiletten sind reichlich vorhanden. „2700 Stück haben die entlang der Strecke aufgestellt“, erklärt einer. „Wahrscheinlich gibt es jetzt in ganz Europa keine Dixie-Klos mehr.“