Herne. Michelle Müntefering schlüpft in Herne in die Rolle der Kassiererin. Im Drogeriemarkt zieht die 29-jährige Lokalpolitikerin eine Stunde lang Waren über den Scanner. Die Einnahmen kommen Obdachlosen zugute.

Bipp, bipp, bipp. Babybrei, Kosmetiktücher und Spülmittel schweben über den Scanner. Dann die Payback-Karte. Bipp. „Acht Euro vierzig, bitte!” Die Kassiererin lächelt. Sie trägt ein blaues Baumwollkostüm, Brille, die braunen Haare im Nacken zusammengebunden. Sie öffnet die Kasse, gibt das Wechselgeld heraus. Und widmet sich der nächsten Kundin. Es könnte ein ganz gewöhnlicher Morgen in der Drogerie sein.

Ist es aber nicht. Draußen dröhnt Schlagermusik über die Bahnhofstraße. Drinnen lärmt und schiebt ein Gewühl aus Kunden, bunten Luftballons, Ölgebäck und Fotografen. An der Kasse sitzt Michelle Müntefering und konzentriert sich auf ihre Aufgabe: Kassieren. Eine Stunde lang. Für den guten Zweck.

Geschirrspültabs, Meisenknödel, Duschgel, Zahnpasta - 12,60 Euro

„Ist ja schon schön voll hier”, sagt sie und tippt auf den Kassenbildschirm. Dann zieht sie wieder Waren über den Scanner. Geschirrspültabs, Meisenknödel, Duschgel, Zahnpasta. 12,60 Euro. Geld, Wechselgeld, Bon, Lächeln. Der Nächste bitte. „Das geht ja schon ganz gut”, sagt eine Kundin. „Dann kann ich ja nächste Woche erstmal frei machen”, frotzelt die dm-Mitarbeiterin. „Dann müssen Sie aber auch für mich zum Parteitag gehen und 'ne Rede halten”, frotzelt Müntefering zurück und kämpft mit einer Papierwurst. „Ich glaub', ich hab' die Sache mit dem Kassenbon vernachlässigt”, kommentiert sie und ihr Lachgrübchen gräbt sich noch ein Stückchen tiefer in die rechte Wange.

Ein Statement fürs Radio, ein Blick in die Fotokamera, ein Lächeln, ein flotter Spruch. Dann ein Paket Natron, zwei Kerzen, Kräutertee. Viermal Bipp. Geld, Wechselgeld, Bon, Lächeln. Jemand sagt „Frau Schumann” zu ihr. „Müntefering heiße ich jetzt”, entgegnet sie knapp, lächelt und kassiert. Den nächsten Kunden kennt sie. „Hallo, ich grüße dich”, sagt sie freundlich und ergänzt in die Runde: „Ich weiß gar nicht, wer heute schon alles da war.” Katzenstreu, Küchenrolle, Deo. Geld, Wechselgeld, Bon, Lächeln. Niemand fragt Persönliches, keiner Politisches. Alle wollen Rabatt, Payback-Punkte, Gratis-Berliner. Eine Kundin begrüßt Mütefering in der Nachbarschaft: „Wir wohnen in der gleichen Straße.” „Ja, genau. Schön da, schön ruhig. Auf gute Nachbarschaft!” Geld, Wechselgeld, Bon, Lächeln.

2000 Euro für den Mittagstisch der Kreuzkirchengemeinde

Ein dicker Blumenstrauß beendet die Promi-Schicht. Die Berliner sind alle, die Musik dröhnt weiter. Michelle Müntefering will jetzt „an den Schreibtisch, 'was vorbereiten – und heute Nachmittag: Fraktionssitzung”. Die Schlangen an den Kassen werden nicht kürzer, die Payback-Karten glühen. Bipp. Bipp. Bipp.

Bei der dm-Aktion kassierte Michelle Müntefering am Montag Waren für 1349,85 Euro. Die Summe kommt, von der Drogeriemarkt-Kette aufgerundet auf 2000 Euro, dem Mittagstisch für Wohnungslose der Ev. Kreuzkirchengemeinde zugute. Pfarrerin Christiane Karin Saßmann initiierte den vor 18 Jahren: „Für einen Winter brauchen wir rund 3500 Euro. Da ist so eine Spendensumme ganz ganz toll.”