Herne. Einige Schlaglichter auf eine in mehrerlei Hinsicht besondere Europawahl in Herne: analysiert, erläutert und kommentiert.

Die Europawahl in Herne: Schlaglichter auf einige Besonderheiten, Hochburgen und Ausreißer.

12:11 für die Herner SPD

Beim Gesamtergebnis lag die SPD (23,9 Prozent) in Herne am Ende hauchdünn vor der CDU (23,7). Und auch in den Stadtteilen (bzw. Ratswahlkreise) hatte Rot knapp die Nase vor: Zwölf gingen an die SPD, elf an die CDU. Zwei Wahlkreise - Unser Fritz/Crange sowie Bickern - gingen überraschend an die AfD (siehe auch Bericht oben). Und in weiteren zwei Wahlkreisen gab es am Ende ein Patt (in Wanne-Mitte zwischen SPD und AfD, in Herne-Südost zwischen SPD und CDU). Die SPD erhielt prozentual die meisten Stimmen in Elpeshof (27,5 Prozent) und Strünkede (27,1), die CDU in Holthausen (29,1), Eickel-Mitte (28,9) und Altenhöfen (27,5).

Geschichte wiederholt sich

Unterm Strich hat sich im Vergleich zur Europawahl 2019 für die beiden Großen in Herne eigentlich kaum etwas geändert. „Die Volksparteien im Sinkflug“, titelte die WAZ vor fünf Jahre und berichtete, dass auf SPD und CDU mit 26,8 bzw. 20,0 Prozent insgesamt erstmals weniger als die Hälfte aller Stimmen entfallen waren. Das war mit zusammen 47,6 Prozent auch diesmal der Fall - nur mit dem Unterschied, dass sich die Ergebnisse von SPD und CDU noch stärker angenähert haben.

Die Top 3 der „Sonstigen“

Das inoffizielle Ranking der „Sonstigen Parteien“ führt in Herne diesmal die Tierschutzpartei mit 2,4 Prozent an. Platz 2 belegen die Satiriker von Die Partei mit 2 Prozent. Die rote Laterne unter den insgesamt 35 Parteien auf dem Stimmzettel hält diesmal die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) mit nur sieben Stimmen vor der DKP mit 19 Stimmen sowie der Klimaliste mit 31 Stimmen.

Martin Sonneborn und Die Partei landeten bei den „Sonstigen Parteien“ in Herne diesmal auf Platz 2. Bei der Europawahl 2019 lag die Satire-Partei in dieser inoffiziellen Rubrik noch auf Rang 1.
Martin Sonneborn und Die Partei landeten bei den „Sonstigen Parteien“ in Herne diesmal auf Platz 2. Bei der Europawahl 2019 lag die Satire-Partei in dieser inoffiziellen Rubrik noch auf Rang 1. © AFP | Tobias Schwarz

Viele DAVA-Stimmen in Horsthausen

Der Beitritt der Türkei in die Europäische Union ist bekanntlich - „dank“ Erdogan - in weite Ferne gerückt. Der lange Arm des türkischen Staatspräsidenten reichte bei der Europawahl aber offenbar auch bis Herne. Die „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA), die sich als Interessenvertretung von Menschen mit Migrationshintergrund versteht und als Ableger der türkischen Regierungspartei AKP gilt, kam auf insgesamt 1,9 Prozent. Im Wahllokal Familienzentrum Horsthausen machten am Sonntag sogar 15,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der DAVA, im Stadtteilzentrum Pluto I immerhin noch 9,9 Prozent. In der Nachbarstadt Gelsenkirchen erreichte die DAVA insgesamt sogar 2,7 Prozent der Stimmen.

Eingeordnet und kommentiert: die Gewinner der Europawahl

+ Von 0 auf 4,9 Prozent in wenigen Monaten - und das noch ohne Parteistrukturen in NRW: Das im September 2023 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist auch in Herne einer der großen Gewinner der Europawahl. Dem möchte Norbert Arndt, eines von bundesweit 450 handverlesenen Gründungsmitgliedern der Linken-Abspaltung, nicht widersprechen. „Das ist ein außerordentlich respektables Ergebnis“, sagt der frühere Verdi-Sekretär. Dabei hätten viele Menschen aus der „Zielgruppe“ in Herne noch gar nicht richtig wahrgenommen, dass es das BSW überhaupt gibt. Das Ergebnis sei 2025 bei der Kommunalwahl und Bundestagswahl noch ausbaufähig, kündigt Arndt an.

Norbert Arndt aus Herne ist eins von bundesweit 450 Gründungsmitgliedern des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW).
Norbert Arndt aus Herne ist eins von bundesweit 450 Gründungsmitgliedern des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

+ Mit 18 Prozent zählt auch die in Herne bei Wahlen häufig schwächelnde AfD - gemessen an Ergebnissen im Ruhrgebiet und NRW - zu den Siegern dieser Wahl.

+ Erfolgserlebnisse waren für die Herner CDU zuletzt eher Mangelware. Mit 23,7 Prozent legten die Christdemokraten um 3,7 Prozent - im Vergleich zum NRW-Ergebnis der Partei - überproportional zu. Kleiner Wermutstropfen: Der CDU fehlten 105 Stimmen für einen „richtigen“ Wahlsieg in Herne über die (bislang) übermächtige SPD.

Ein Gewinner (mit leichten Abstrichen): Christoph Bußmann, Vorsitzender der Herner CDU.
Ein Gewinner (mit leichten Abstrichen): Christoph Bußmann, Vorsitzender der Herner CDU. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Eingeordnet und kommentiert: die Verlierer

- SPD, Grüne oder Linkspartei - diese drei Parteien können in Herne unter sich ausmachen, wer den Titel „größter Wahlverlierer“ tragen muss. Möglicherweise gehen aus diesem politischen Wettstreit die Linken als Verlierer hervor. Die müssen nicht nur das schwere Los tragen, in Herne im Vergleich zur Europawahl 2019 halbiert worden zu sein (von 5,1 auf 2,5 Prozent). Nein, sie müssen auch noch hinnehmen, von ihrer Abspaltung BSW ganz locker von rechts überholt zu werden. Obwohl: Gemessen am eigenen Anspruch ist auch die Herner SPD mit kümmerlichen 23,9 Prozent ein ganz heißer Aspirant. Und nicht zuletzt: Auch die Grünen sind ja diesmal (fast) halbiert worden - von 17,5 auf 9,2 Prozent.

Tristesse statt Triumph: die Wahlparty der Herner SPD am Sonntagabend im Garten des Parteibüros an der Bochumer Straße.
Tristesse statt Triumph: die Wahlparty der Herner SPD am Sonntagabend im Garten des Parteibüros an der Bochumer Straße. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

- Die Demokratie! Wenn in Herne mehr als 10.500 Menschen ihr Kreuz bei einer Partei wie der AfD machen, die in großen Teilen rechtsextremistisch ist, in Herne kaum stattfindet und Spitzenkandidaten aufgestellt hat, die ins Visier der Staatsanwaltschaft sowie durch ihre Nähe zu Russland und China in den Verdacht des Vaterlandsverräters geraten sind, dann gibt es dafür nur ein Wort: demokratiefeindlich.