Herne. 2225 Menschen wurden in der evangelischen Kirche missbraucht. Das ist das Ergebnis einer Studie. Gab es auch in Herne Fälle?
Im Januar hat der Forschungsverbund „ForuM“ die Ergebnisse seiner Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche sowie der Diakonie in Deutschland vorgestellt. Mindestens 2225 Menschen wurden missbraucht, so das Ergebnis der Studie. Rund zwei Drittel der Opfer sind laut der Untersuchung männlich. Insgesamt gibt es 1259 Beschuldigte. Ein Drittel von ihnen sollen Pfarrpersonen sein, also Pfarrerinnen und Pfarrer oder Vikare, wobei es sich fast ausschließlich um Männer handele (99,6 Prozent), heißt es.
Auch im Evangelischen Kirchenkreis sei man „fassungslos“ über die hohe Opferzahl, sagt Sprecher Arnd Röbbelen. Innerhalb der Gemeinden seien viele Menschen schockiert gewesen über die Erkenntnisse der Studie. Es sei ein Skandal, dass so viele Fälle vertuscht worden seien, indem beispielsweise die Täter an andere Orte versetzt worden seien oder den Opfern nicht geglaubt worden sei. „Wir sind da nicht besser als die katholische Kirche.“ Das Wichtigste sei nun, das Vertrauen wieder herzustellen. Die Forschung müsse man als Anfang sehen und nun versuchen, alles aufzuarbeiten und genau hinzugucken. Für die Betroffenen sei das ganze Thema eine „totale Katastrophe“. Die ihnen zugefügten Verletzungen ließen sich nicht wieder gutmachen.
Es gebe allerdings auch etwas Positives: Seit einigen Jahren gebe es deutlich bessere Schutzprogramme als damals. „So etwas könnte heute so leicht nicht mehr passieren“, sagt Röbbelen. So müssten beispielsweise alle Haupt- und Ehrenamtliche Schulungen absolvieren. Außerdem müssten erweiterte Führungszeugnisse vorgelegt werden, zudem gebe es eine Präventionsbeauftragte. „Kirchliche Räume müssen für Menschen aller Generationen sichere Räume sein“, so Röbbelen.
Seit der Pfarrer in Herne ist – seit 2007 – habe er nur von einem Verdachtsfall mitbekommen. Ansonsten sei in Herne noch nichts vorgefallen, von dem er wisse, so Röbbelen. Und auch das habe sich geändert: Wenn es heute nur den kleinsten Verdacht gebe, werde sofort eingeschritten und interveniert. „Das Ganze muss möglichst transparent geschehen“, sagt er.
Auf der Website des Kirchenkreises (www.kk-herne.de) gibt es Kontakte für Betroffene. Viele von ihnen hätten die Taten vielleicht verdrängt oder sich bisher nicht getraut, etwas zu sagen, sagt der Pfarrer. Natürlich könne er verstehen, dass sich Betroffene nicht ausgerechnet bei der Kirche melden wollen. „Dafür müsste es eigentlich auch staatliche Stellen geben.“
Seit dem Herbst 2021 werde im Evangelischen Kirchenkreis Herne ein umfassendes Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt umgesetzt, heißt es auf der Website des Kirchenkreises. Grundlage bilde das Kirchengesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche von Westfalen. Es definiert klare Standards, die für alle Gemeinden und Einrichtungen gelten. Zur Umsetzung des Kirchengesetzes kooperiere die Evangelische Kirche in Herne mit den Kirchenkreisen Bochum und Gelsenkirchen und Wattenscheid.
In Herne haben Betroffene auch die Möglichkeit, sich an die Beratungsstelle „Schattenlicht“ zu wenden unter: (02323) 98 11 98. Die Beratungen seien kostenlos, freiwillig und vertraulich. Außerdem bietet Schattenlicht Präventionsangebote für Mädchen an Herner Schulen und Einrichtungen an.