Herne. Schon wieder mussten in Wanne-Süd Blindgänger entschärft werden. Die Herner WAZ durfte das Ordnungsamt exklusiv bei der Evakuierung begleiten.
Same procedure… wie in den letzten Wochen. Zum vierten Mal seit Juli mussten in Wanne-Süd auf dem ehemaligen Heitkamp-Gelände Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft werden, am Dienstag sogar vier auf einmal. Doch bevor die Feuerwerker die Zünder unschädlich machen konnten, mussten die Wohnungen rund um die Landgrafenstraße evakuiert werden. Die Herner WAZ hat exklusiv die Gelegenheit, ein Team des Ordnungsamts zu begleiten.
Als sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Parkplatz des Dorneburger Parks treffen, spürt man schnell die Routine, die sich entwickelt hat. Die meisten haben an den ersten drei Evakuierungen mitgewirkt, die Vorgehensweise ist eingespielt. Das Gebiet, das die Menschen verlassen müssen, ist in fünf verschiedene Bereiche eingeteilt. Zweierteams gehen von Haus zu Haus, um die Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufzufordern.
Am Dienstag bilden Maren Schulze und Dennis Winkelbert ein Team. Das sind allerdings nicht ihre echten Namen, als Mitarbeiter des Herner Ordnungsamts sind die zurückhaltend mit ihren persönlichen Daten. Mit ihrer Erfahrung bei Evakuierungen haben sie schon eine bunte Palette an Ausreden gehört, um nicht aus der Wohnung zu müssen. „Uns passiert sowieso nix“, „Da müsst Ihr mich schon raustragen“ oder „Ich hab’den Krieg noch selbst erlebt“. Mal sehen, was sie heute so hören...
...und dann hören sie tatsächlich den Satz: „Ich kenn’ den Krieg ja noch.“ Allerdings steht Sigrid Hesse bereits vor dem Haus an der Landgrafenstraße und wartet auf einen Transport zur Sporthalle in Eickel. Es sei schon ein komisches Gefühl, dass immer noch Blindgänger gefunden werden, sagt die fast 86-Jährige. Auch Hesse hat eine gewisse Routine mit den Evakuierungen entwickelt, nachdem sie ihr Nachbar informiert hatte, hat sie ihre Tasche mit dem Nötigsten gepackt und sich bereit für den Transport gemacht. Schulze (25) und Winkelbert (34) informiert sie, dass sich ansonsten niemand mehr im Haus aufhalte.
Die beiden ziehen weiter - und spielen an jedem Haus behördliches Klingelmännchen. Sehr bestimmt drücken sie jeden Klingelknopf. Und das mehrfach. Zusätzlich klopfen sie im Erdgeschoss an die Fenster und warten, ob sich etwas regt. Inzwischen kennen die beiden die ganze Welt der Klingeltöne. Eine Klingel imitiert Vogelgezwitscher.
Nur ein Hund bellt in der Erdgeschoss-Wohnung
Doch es öffnet niemand. Schulze und Winkelbert legen eine gewisse Hartnäckigkeit an den Tag. Selbst wenn es kein Lebenszeichen gibt, harren sie bis zu fünf Minuten aus. Schulze schaut auch hinter dem Haus nach, die Häuser an der Landgrafenstraße haben teilweise schöne große Gärten, da ist es an diesem sonnigen Spätsommertag nicht auszuschließen, dass sich jemand im Grünen aufhält. Doch Schulze und Winkelbert fällt nur weiße Unterwäsche auf der Leine auf. In einem der Häuser regt sich dann doch etwas: In der Erdgeschoss-Wohnung bellt ein Hund, doch vom Besitzer ist keine Spur.
Zusätzlich zu den „Klingel-Teams“ fährt zum zweiten Mal ein Wagen des Ordnungsamts durch die betroffenen Straßen und macht per Lautsprecher darauf aufmerksam, dass wieder Blindgänger gefunden worden sind und die Menschen wieder den Gefahrenbereich verlassen müssen - für eine Anwohnerin ganz offensichtlich ein Ärgernis. „Halt die Schnauze“, raunzt sie in Richtung Wagen, als sie sich mit ihrem Fahrrad aus dem Staub macht.
Die meisten der Häuser scheinen leer - was nicht verwundert. Am frühen Nachmittag sind viele Menschen noch bei der Arbeit, außerdem weisen die LEG-Häuser einen nennenswerten Leerstand auf. Also kann Schulze auf ihrer Liste ein Haus nach dem anderen abhaken. In Nummer 45 öffnet sich dann doch die Tür. Eine Frau schaut heraus, doch Schulzes Hinweis, dass sie die Wohnung wegen einer Bombe verlassen muss, versteht sie offenkundig sprachlich nicht, sie holt ihren Mann. Zehn Minuten bleiben ihnen, um ihre Wohnung und die Gefahrenzone zu verlassen.
Misstrauen, wenn sich hinter der Gardine etwas bewegt
Fragt sich, wann die Teams des Ordnungsamts misstrauisch werden, obwohl niemand auf das Klingeln reagiert? „Wenn wir Stimmen oder Geräusche hören. Oder wenn sich hinter der Gardine etwas bewegt, wenn wir weggehen.“ Dann kehren sie um. Und ja, sie hätten auch schon die Polizei zu Hilfe geholt, um renitente Anwohner aus dem Haus zu holen.
+++ Nachrichten aus Herne – Lesen Sie auch: +++
- Besondere Schnitzeljagd: Hernerin versteckt gehäkelte Wurmis
- Fitnessstudio Basic-Fit eröffnet in Kürze in Herner City
- Wieder Demo vor Herner Ausländeramt: Was Flüchtlinge fordern
Inzwischen sind die zehn Minuten verstrichen, doch das ältere Ehepaar aus Nummer 45 ist noch nicht aufgetaucht. Also statten Schulze und Winkelbert ihm den zweiten Besuch ab und klingeln erneut. Der Mann öffnet und Maren Schulze sagt sehr bestimmt: „Die zehn Minuten sind um, sie müssen das Haus jetzt verlassen. Bitte ziehen Sie Schuhe an, wir warten unten.“ Wenig später ist auch Nummer 45 „sauber“. Und damit der ganze Bereich, den die beiden kontrolliert haben. Nach nur einer Stunde. „Das war ja tiefenentspannt“, sagt Winkelbert. Er kennt es auch anderes - Doppelschichten. Erst hätten die beiden ab 7 Uhr morgens ihre ganz normale Frühschicht im Büro gemacht, dann sei die Nachricht vom Blindgänger gekommen, der gesprengt werden müsse. Erst nach 22 Uhr war ihr Dienst zu Ende.
Am Dienstag war bedeutend früher Dienstschluss. Die Entwarnung kam um 17.51 Uhr.