Herne. Wie schlimm ist der Zustand im Hochhaus-Komplex in Wanne-Nord? Die Stadt Herne prüft nun alle Gebäude. Warum eine Familie die Stadt kritisiert.

Müssen im Hochhaus-Komplex Emscherstraße in Wanne-Nord weitere Wohnungen für unbewohnbar erklärt werden? Das ist durchaus möglich. Nicht auszuschließen ist, dass sogar alle Häuser geräumt werden müssen. Aktuell laufe ein Anhörungsverfahren zur Feststellung der Unbewohnbarkeit der gesamten Anlage, sagte Norbert Gresch (Stadt Herne) in der Bezirksvertretung Wanne. Sollte dabei nicht festzustellen sein, dass Wohnungen die Mindeststandards erfüllten, dann könnten auch sie als unbewohnbar eingestuft werden.

„Katastrophal“ – so nennt der Wanner SPD-Bezirksverordnete Michael Girschol die Lage in dem Hochhauskomplex des Wohnungsunternehmens Belvona. Im Dezember wurden die Wohnungen in den Häusern Nummer 82 und 88 von der Stadt Herne wegen lebensgefährlicher Zustände für unbewohnbar erklärt, zuletzt wurde auch das Haus Nummer 90 von der Stromversorgung getrennt. Von der Stadt wollte die SPD-Bezirksfraktion nun in der Bezirksvertretung unter anderem wissen, ob alle Betroffenen eine Ersatzwohnung gefunden haben und ob weitere Gebäude für unbewohnbar erklärt werden könnten. Zu den unzumutbaren Zuständen zählt Michael Girschol etwa den „Ausfall der Heizungsanlage im dritten Winter in Folge“. „Das ist völlig indiskutabel“, so der Bezirksverordnete zur WAZ.

Herne: Bewohner widerspricht der Stadt

„Völlig indiskutabel“: der Bezirksverordnete Michael Girschol (SPD).
„Völlig indiskutabel“: der Bezirksverordnete Michael Girschol (SPD). © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Nach Kenntnis der Verwaltung haben alle Mietparteien, die aus den Häusern mussten, Ersatzwohnungen gefunden, sagte Norbert Gresch (Stadt) in der Sitzung. Im Haus Nummer 88 habe man sich um keine Bewohnerinnen und Bewohner kümmern müssen, da das Gebäude schon leergezogen war. Nur Unbefugte hätten sich dort noch aufgehalten. Im Haus Nummer 82 hätten sieben Mietparteien gewohnt. Sie hätten unter Mithilfe der Wohnungsaufsicht Ersatzwohnungen bezogen oder seien bei Verwandten untergekommen – und sollen in absehbarer Zeit neue Räume beziehen. Norbert Gresch stellte klar: „Die Wohnungsaufsicht steht weiter allen Hilfesuchenden zur Seite.“

Dem widerspricht Joshua Karapinar. Der 25-Jährige kam mit seiner Familie in die Bezirksvertretung, darunter im Rollstuhl geschoben der blinde und krebskranke Vater. Die Stadt, kritisierte Joshua Karapinar, helfe nicht ausreichend. Die dreiköpfige Familie habe im Wohnblock in einer viereinhalb Zimmer großen Wohnung gelebt. Angeboten worden sei ihnen nur eine dreieinhalb Zimmer große Wohnung in der vierten Etage in Sodingen, so der Student.

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Das sei zu klein, vor allem auch deshalb, weil der Vater für seine Versorgung mit verstellbarem Bett und medizinischen Utensilien viel Platz benötige. Außerdem sei die Wohnung zu weit weg von den Ärzten, die der Vater regelmäßig besuchen müsse. „Die Versprechungen der Wohnungsaufsicht wurden nicht eingehalten“, meinte Joshua Karapinar. Seine Familie wohne nun bei Bekannten in nur einem Zimmer und wolle endlich in eine adäquate Wohnung. Auch in ein Hotel könne sie nicht. Sie vertraue dem Vermieter Belvona nicht, dass dieser, wie angekündigt, Hotelkosten übernehme. In Vorleistung wollten sie deshalb nicht gehen.

Haben noch keine neue Wohnung bezogen: Renziye Yildiz-Karapinar, Abdullah und Joshua Karapinar.
Haben noch keine neue Wohnung bezogen: Renziye Yildiz-Karapinar, Abdullah und Joshua Karapinar. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Das könne er verstehen, sagte der SPD-Bezirksverordnete Yücel Yilmaz. Er glaube „nicht wirklich“, dass Belvona die Hotelkosten trage, sagte er in der Bezirksvertretung. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sitzung boten der Familie an, gegenüber der Stadt zu vermitteln beziehungsweise die Familie bei ihrer Suche zu unterstützen, darunter Linken-Ratsfrau Klaudia Scholz („Wir kümmern uns“) und SPD-Ratsherr Frank Salzmann („Sprechen Sie uns an, wir helfen, ich geben mein Wort drauf“).

Stadt Herne: „Verwaltung beobachtet die Entwicklungen vor Ort genau“

„Ich glaube nicht, dass Belvona noch einen Cent in die Anlage steckt“: der SPD-Bezirksverordnete Yücel Yilmaz.
„Ich glaube nicht, dass Belvona noch einen Cent in die Anlage steckt“: der SPD-Bezirksverordnete Yücel Yilmaz. © OH

Und wie geht es mit dem Wohnblock weiter? Er steht nun offensichtlich in weiten Teilen leer. 2018 bezifferte die Stadt Herne die Zahl der Wohnungen auf 224 und die Zahl der Bewohner mit rund 800. „Die Verwaltung beobachtet die Entwicklungen vor Ort genau“, sagte Norbert Gresch (Stadt). Bei besagtem Anhörungsverfahren mit Blick auf die Mängel in der gesamten Wohnanlage hat der Vermieter Belvona beziehungsweise der von Belvona vertretene Eigentümer nun zunächst die Möglichkeit, sich zu äußern. Das Wohnungsunternehmen hatte zuletzt gegenüber der WAZ bestätigt, dass die Heizungsanlage mehrfach ausgefallen sei, und mitgeteilt, dass inzwischen aber umfassende Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen geplant seien.

Auch daran gibt es Zweifel. „Ich glaube nicht, dass Belvona noch einen Cent in die Anlage steckt“, sagte der SPD-Bezirksverordnete Yücel Yilmaz nach der Bezirksvertretung zur WAZ.