Herne. Ohne kölschen Klüngel wäre er nie in Herne gelandet: Verkehrs- und Tiefbauamts-Chef Josef Becker geht in den Ruhestand und hat viel zu erzählen.
Josef wer? Die Zahl der Hernerinnen und Herner, die etwas mit dem Namen Josef Becker anfangen können, dürfte überschaubar sein. An seinem Wirken in dieser Stadt kommt jedoch definitiv niemand vorbei: Becker ist seit mehr als 30 Jahren in Herne für Straßen, Verkehr und Kanalisation zuständig, davon seit 2008 in führender Position als Amtsleiter. Nun ist der 65-Jährige seit einer Woche Pensionär – und blickt auf eine sehr außergewöhnliche Verwaltungskarriere zurück.
In die Wiege gelegt
Er sei quasi in einem Wohnungsbauunternehmen „groß geworden“, sagt Becker. Sein Vater habe im münsterländischen Heiden (Kreis Borken) eine eigene Firma gehabt. „Ich bin in den Ferien und in jeder freien Minute auf dem Bau gewesen.“ Bei vier Schwestern sei er als einziger männlicher Spross der Familie schon früh „in diese Richtung geschubst worden“ und habe dann Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen studiert.
Nach dem Abschluss zu Beginn der 80er Jahre sei die Wohnungsbaukrise ausgebrochen. Nach einigen Jahren im Betrieb habe er – in Absprache mit dem Vater - entschieden, ein zweites Standbein zu schaffen und sich für den höheren bautechnischen Verwaltungsdienst zu qualifizieren. Nach seiner Ausbildung als Bauassessor in der Bezirksregierung Düsseldorf heuerte er 1989 als Verkehrsplaner in der Stadt Köln an und zog mit seiner Frau vom Münster- ins Rheinland. Eine Entscheidung, die er bald bereuen sollte …
Der kölsche Klüngel
Bereits nach wenigen Jahren brach die – inzwischen vierköpfige – Familie Becker ihre Zelte dort komplett ab. „Der kölsche Klüngel hat mich nicht motiviert, sondern dazu geführt, dass ich mich wegbeworben haben“, erzählt Josef Becker. Wenn er was werden wolle, sei ihm damals signalisiert worden, müsse er in die SPD eintreten. Seine Antwort: „Tut mir leid, dann will ich nichts werden.“ Auf Wunsch des (SPD-)Vorsitzenden des Kölner Verkehrsausschusses in der Sitzung etwas gegen seinen Willen und Fachverstand zu vertreten? Nein, das habe man mit ihm nicht machen können.
Neuanfang in Herne
Auch interessant
Auf Empfehlung eines Kollegen aus Münster bewarb er sich auf eine Stellenanzeige als Sachgebietsleiter im Tiefbauamt der ihm bis dato unbekannten Stadt Herne – und wurde genommen. Über die Stationen Abteilungsleiter und stellvertretender Amtsleiter übernahm der Beamte Becker 2008 die Leitung im Amt für Tiefbau und Verkehr, wo er zwischenzeitlich Chef von bis zu 180 Mitarbeitenden war. Nach seiner Beförderung habe es auch in Herne mal hier und da Stimmen gegeben, die ihm einen Eintritt in die SPD nahelegten, erinnert er sich. Doch auch Herner Klüngel war für ihn keine Option. Seine Begründung würden wohl alle Herner Mandatsträger unterschrieben, die mit ihm in drei Jahrzehnten bisweilen hart in der Sache gerungen haben: „Ich lasse mich nicht verbiegen. Ich muss durch meine Fachkompetenz überzeugen. Ich habe sicherlich Ecken und Kanten, bin aber immer geradeaus.“
Rückkehr ins Münsterland
Der Versuch der jungen Familie, Anfang der 90er Jahre in Herne oder im näheren Umfeld Wurzeln zu schlagen und eine neue Bleibe zu finden, scheiterte: „Die Wohnungssituation war katastrophal.“ Auf Empfehlung des Vaters entschieden die Beckers schließlich, in Heiden zu bauen. Die 55 Kilometer nach Herne habe er anfangs mit dem Auto zurückgelegt, sei dann aber im Jahr 2000 ganz bewusst auf die Bahn umgestiegen, erzählt er. Bereut hat er das nie, auch wenn er von der Haustür bis ins Büro nunmehr 90 Minuten statt eine Stunde benötigte.
Auf seinem Weg zur Arbeit habe er sich die ersten Jahren mit dem E-Mail-Verkehr und Beschlussvorlagen befasst, erzählt er. In den letzten zehn Jahren sei er dann immer entspannter geworden und habe die Borkener Zeitung und Bücher gelesen „oder auch mal ein Nickerchen gemacht“. Trotz des größeren zeitlichen Aufwands sei seine Lebensqualität deutlich gestiegen, „außer wenn mal wieder ein Zug ausfiel und meine Frau mich an irgendeinem Bahnhof abholte, an dem ich gestrandet war“.
Die Straßen von Herne
Frage: Wenn Josef Becker in seinem Ruhestand mit dem Auto durch Herne fährt – auf welcher Straße sagt er sich: „Josef, das hast du richtig gut gemacht“? Darauf hat der 65-Jährige mehr als eine Antwort. Die schrittweise ausgebauten Hauptverkehrsachsen Holsterhauser Straße und Dorstener Straße nennt er zuallererst. Und: die Herner Fußgängerzone, die Bebelstraße, die Freiligrathstraße … . Und in Wanne-Eickel? Die Wakefieldstraße, die Hauptstraße und weitere Trassen fallen ihm da spontan ein.
Noch eine Frage: Was ist die größte Baustelle, die er auf Hernes Straßen hinterlassen hat? Die (schnelle) Antwort: Cranger Straße/Heerstraße/Hertener Straße im Bereich des Bahnübergangs. „Für Fußgänger und Radfahrer gibt es dort gar nichts. Der Knotenpunkt muss dringend entzerrt werden.“ Immerhin: Das sei in seiner Amtszeit schon eingestielt worden. Bis zur Fertigstellung werde es wohl noch zehn Jahre oder länger dauern „Davon werden dann aber alle Verkehrsteilnehmer profitieren.“
Die Verkehrswende
Auch interessant
Politik und Verwaltung haben vor einigen Jahren die Verkehrs- oder Mobilitätswende ausgerufen und entsprechende Beschlüsse gefasst. Wo steht Herne heute? „Wir sind noch nicht so weit. Wir haben den Schalter im Kopf noch nicht umgelegt“, sagt Becker. „Wir“, das seien Stadt, Politik und Gesellschaft. „Ich behaupte: Wir brauchen noch mindestens eine, wenn nicht gar zwei Generationen, um neue Mobilität als Selbstverständlichkeit zu leben.“ Der Paradigmenwechsel vom Verbrenner zum E-Auto reiche längst nicht aus. „Dadurch bekommen wir nicht einen Zentimeter mehr für Rad- und Fußwege oder attraktive Grünflächen.“ Der motorisierte Verkehr sei viel zu dominant. Das habe beispielsweise auch die (fast) unendliche Umbaugeschichte der inzwischen zweispurigen Bochumer Straße gezeigt. „Wenn wir dafür schon 15 Jahre brauchen…“, sagt er und seufzt.
Ein unerfüllter Wunsch
Im ÖPNV sei Herne grundsätzlich sehr gut aufgestellt und gut vernetzt, findet Josef Becker. Doch die Verlängerung der U 35 bis Recklinghausen – das wär‘s gewesen, findet er. Leider seien Land und Bund einst das Geld ausgegangen für die Finanzierung einer solchen Direktverbindung von Recklinghausen bis zur Ruhr-Uni in Bochum.
Die größte Herausforderung
Die Auslagerung der Stadtentwässerung in eine mit Gelsenwasser gegründete Gesellschaft (SEH) im Jahr 2008 sei für ihn persönlich die größte Herausforderung und „ein ganz einschneidendes Erlebnis“ gewesen. Er habe sich mit dieser Entscheidung - sie sollte bzw. musste schelles Geld in die leere Stadtkasse spülen - anfangs sehr schwer getan, räumt er ein. Becker übernahm – quasi im Nebenamt - die Geschäftsführung der SEH, „obwohl ich gar keine betriebswirtschaftliche Ausbildung hatte“. Nach einiger Zeit habe er festgestellt, dass diese Konstellation auch Vorteile habe und dass die Zusammenarbeit mit dem neuen Partner Gelsenwasser sogar Spaß mache. Und nicht zuletzt habe man beim Emscherumbau und der Renaturierung der Bachläufe mit der SEH ganz große Ziele umgesetzt. „Darauf bin ich stolz.“
Weniger Spaß bereitete ihm dagegen die sich zuspitzende personelle Situation in seinem Fachbereich. „Der Wettbewerb unter den Städten ist wahnsinnig groß geworden.“ Es komme immer wieder zu Abwerbungen. Das sei fatal, weil die Verwaltung – auch durch viele Sparrunden - sowieso schon unterbesetzt sei. Er habe vor vier Jahren mal eine Auflistung für den Kämmerer gemacht und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der aktuell rund 120 Mitarbeitende zählende Fachbereich Tiefbau und Verkehr eigentlich 13 Stellen mehr haben müsste, um allen Aufgaben und Anforderungen gerecht werden zu können.
Und jetzt?
„Ich werde sicherlich keine Weltreise machen und definitiv auch keinen Nebenjob in meinem bisherigen Bereich übernehmen“, sagt der Pensionär, der sich selbst als „Vereinsmeier“ bezeichnet und unter anderem Mitglied im Gesangsverein ist. Er werde sich um das Haus und den Garten kümmern, sagt der Vater von zwei Kindern (31 und 33). Und vielleicht kämen ja auch noch Enkelkinder.
Mit seiner Frau – sie geht 2023 in den Ruhestand – will er weiterhin „viele Radreisen“ unternehmen. Bereits vor Jahren haben sie sich Pedelecs angeschafft, die sie auch im Alltag immer häufiger nutzten. Und nicht zuletzt: „Ich möchte was mit Natur machen.“ Er habe da schon was im Kopf, deutet er auf Nachfrage an. Eher untypisch für den geradlinigen Menschen Josef Becker: Konkreter will er sich dazu (noch) nicht äußern.