Herne. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine spitzt sich weiter zu. Hernerinnen mit russischen und ukrainischen Wurzeln erklären ihre Sicht.
„Meine Oma hat damals den Zweiten Weltkrieg erlebt“, erinnert sich Julia P., die ihren richtigen Namen nicht veröffentlicht wissen möchte, zurück. „Und sie hat uns immer gesagt: ‘Beschwert euch nicht, Hauptsache, es ist kein Krieg’. Wir haben sie belächelt.“ Die Hernerin mit ukrainischen Wurzeln ist beim Erzählen hörbar gerührt: „Wir konnten nicht ahnen, wie Recht sie damals hatte.“ Julia P. lebt mittlerweile seit 20 Jahren in Deutschland, hält regelmäßig den Kontakt zu ihrer Familie in der Ukraine – aktuell mehr denn je: „Der Angriff war ein Schock. Ich hätte niemals gedacht, dass es dazu kommen wird.“
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Ihre Eltern (65 und 67 Jahre alt) leben im Gebiet Charkiw, im Nordosten der Ukraine. „Sie wollen ihr zu Hause nicht verlassen“, erzählt die Mitte 40-Jährige unter Tränen. Ihre rund zehn Jahre jüngere Schwester lebe mit ihrem Mann und dem zweijährigen Kind unweit der Eltern. „Sie sind mit den Auto zu meinen Eltern gefahren, dort ist es sicherer. Für die 50 Kilometer haben sie vier Stunden gebraucht“, sagt Julia P. Der nächstgelegene Flughafen stehe unter Beschuss, eine sichere Ausreise sei somit unmöglich: „Selbst wenn sie mit dem Auto zu uns fahren würden, wüssten wir nicht, ob sie die Grenze passieren dürften.“ Eine schwierige Lage für die Hernerin, die ihre Familie am liebsten bei sich aufnehmen würde. „Uns sind hier die Hände gebunden“, sagt sie. Selbst finanzielle Unterstützung gestalte sich derzeit schwierig, die Banken in der Ukraine seien geschlossen, Geld abheben unmöglich.
Viele Ukrainer flüchten in ländliche Regionen
Olga Manusova unterstützt ihre Familie in der Ukraine ebenfalls so gut es nur geht. Die Dortmunderin ist als Sozialpädagogin für die Jüdische Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen tätig und kümmert sich um die Herner Mitglieder der Gemeinde. Manusovas Wurzeln liegen in der Südukraine, in der Oblast Cherson. „Ich habe täglich Kontakt zu meinem Cousin und seiner Familie“, erzählt die 50-Jährige. „Es gibt riesige Staus, die Tankstellen sind überlaufen, weil alle nur noch tanken und weg wollen.“ Viele suchten Schutz im Landesinneren. Ihr Schwiegervater etwa lebe in einer Datscha in der ländlichen Region Chersons. „Er hat uns vorhin noch am Telefon erzählt, dass seine Lebensmittel langsam knapp werden“, so Manusova. „Zum Einkaufen muss er ins nächstgelegene Dorf fahren, das ist immer eine Gefahr.“ Dennoch wolle der Schwiegervater in seiner Datscha bleiben, „er sagt, das ist sein zu Hause.“
Die Berichterstattung der russischen Medien bewertet Olga Manusova als Propaganda. „Ich habe hier in Deutschland Streit mit russischen Landsleuten, weil sie dieses Zeug glauben“, sagt sie und schränkt ein: „Es gibt aber auch Russen, die viel Solidarität zeigen, das hat mich in den letzten Tagen überwältigt.“ Egal, wo man in seinen Ansichten stehe, „am Ende wollen wir doch alle eins: Frieden“.
Russin sieht den Einmarsch als mögliche Konfliktlösung
Die Russland-Deutsche Rita Fichtner betreibt mit ihrer Familie das usbekisch-russische Restaurant „Taschkent“ an der Bahnhofsstraße. Die 72-Jährige sieht die aktuellen Entwicklungen kritisch. „Natürlich ist so eine Eskalation nie gut“, sagt sie. „Aber ich hoffe, dass damit jetzt bald endlich Frieden einkehrt und sich der Konflikt legt.“ Sie selbst verfolge die Berichterstattung in den russischen Medien mittlerweile kaum noch, das koste nur unnötig Nerven. „Wir haben da sowieso keinen Einfluss drauf, das bestimmt alles die Politik“, erklärt die Gastronomin. Auch wenn der Konflikt sehr aufgeladen sei, merke Fichtner, dass viel gegenseitiges Verständnis herrscht: „Es ist wie ein Bruder-Krieg, kann man sagen.“
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