Herne. Als Moderator ist Martin von Berswordt-Wallrabe in Herne bestens bekannt, als Veganer nicht. Warum er für den Verzicht auf Tierprodukte eintritt.
Fisch und Fleisch kommen bei Martin von Berswordt-Wallrabe schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr auf den Teller - aus Respekt vor Tieren. Den Schritt von der vegetarischen zur veganen Lebensweise, also zum vollständigen Verzicht auf tierische Produkte, hat der 45-Jährige vor knapp zwei Jahren vollzogen, weil ihm buchstäblich ein Licht aufgegangen ist.
Nach dem Umzug ins Ländliche fuhren Martin von Berswordt-Wallrabe und seine Frau Anne häufiger zu später Stunde an großen Kuhställen vorbei. „Uns ist aufgefallen, dass dort abends und nachts immer Licht brennt“, erzählt Martin von Berswordt (MvB). Das weckte den „journalistischen Neugierfaktor“ bei dem früheren Redakteur von Radio Herne, der mittlerweile mit seiner Frau eine Kommunikationsagentur betreibt. Ergebnis der Recherche: Licht verkürzt die Schlafphasen der Kühe, sie geben dadurch mehr Milch. Seine Reaktion: „Nur weil für einen Liter Milch kein Tier getötet wird, heißt das für mich nicht, dass das für mich vertretbar wäre. Es gibt keine Milch ohne Tierleid.
„Jawoll, es wird langsam!“ (MvB auf Facebook über die Nachricht, dass sich immer mehr Deutsche vegetarisch oder vegan ernähren: Die Produktion solcher Lebensmittel ist im Jahr 2020 um ein Drittel gestiegen, so Medien.)
Leicht gefallen sei ihm der Verzicht auf Milchprodukte ganz zu Beginn nicht, bekennt das Vorstandsmitglied der Herner Tafel. Er habe dann jedoch schnell erkannt: „Eigentlich muss ich auf nichts verzichten.“ Denn was vielen Menschen gar nicht bewusst sei: „Es gibt so viele vegane Gerichte, die als solche zunächst gar nicht erkannt werden.“ Eine Antwort auf die von Fleischessern gestellte Frage, was er denn überhaupt noch essen dürfe, müsse er deshalb nicht schuldig bleiben (siehe auch unten: Buchtipp).
Ein „echter“ Veganer wird man aber nicht nur durch bewusste Ernährung. „Wir haben unsere Kleider- und Schuhschränke durchforstet“, berichtet von Berswordt-Wallrabe. Auch das sei ihm zunächst nicht leicht gefallen: „Es gibt so wunderschöne Schuhe aus Leder … .“ Inzwischen wisse er: Es gebe auch tolle Modelle, die nicht aus Leder sind. Veganer wäre er jedoch unabhängig von dieser Erkenntnis geworden: „Das ist eine ganz persönliche Entscheidung gewesen: Ich möchte mein Leben möglichst so gestalten, dass kein Tier dadurch zu Schaden kommt.
„Überlassen wir das Denken den Pferden, sie haben größere Köpfe – und es käme sicher nicht so ein Mist dabei raus wie die Idee des tierischen Zirkusspektakels.“ (MvB auf Facebook über Tiere in der Manege)
Auf seiner (privaten) Facebook-Seite bezieht Martin von Berswordt-Wallrabe hin und wieder sehr deutlich Stellung zu Themen wie Fleischkonsum oder Tierquälerei. Eine Missionierung anderer Menschen oder gar das Verhängen von Verboten lägen ihm jedoch fern, betont er. „Ich habe noch nie irgendjemanden kritisch darauf angesprochen, dass er oder sie Fleisch isst.“ Seine Facebook-Posts gründeten auch weniger auf Wut als vielmehr auf Mitgefühl für die gequälte Kreatur.
Was er aber nicht gelten lasse, seien Sätze wie: Ich könnte nicht darauf verzichten. „Wir alle haben in den vergangenen Jahren gelernt, auf etwas zu verzichten, wenn wir darin einen höheren Sinn sehen“, so von Berswordt-Wallrabe. Für ihn sei der Punkt: „Die Verbindung zwischen dem, was auf dem Teller ist, und dem, was vorher noch über die Wiese gelaufen ist, ist verloren gegangen. Es wird uns wahnsinnig leicht gemacht, das zu verdrängen.“ Er würde sich grundsätzlich einen offeneren Umgang und eine ehrlichere Information über die Hintergründe des Konsums von Fleisch und tierischen Produkten wünschen.
„Die Verbraucher stehen am Weber-Grill für 800 Euro und legen eine Bratwurst für 89 Cent drauf.“ (MvB auf Facebook)
„Wir sehen einige glückliche Tiere und wissen nicht, dass 99 Prozent aller Schweine in Großanlagen ohne Tageslicht gehalten werden“, erklärt er. Jeder, der mit Tieren zusammenlebe, wisse, dass diese eine ganz feine Sensorik hätten und sofort merkten, wenn nichts Gutes mit ihnen geschehe, sagt von Berswordt. Er und seine Frau teilten Haus und Hof mit drei Hunden: einem Mops, einem Zwerggriffon-Mix und seit wenigen Wochen mit Otto, einem von der spanischen Tierhilfe-Organisation Costa del Almeria/SOS Adopta vermittelten Mischling aus dem Tierheim.
Logo von Tiertransport- und Schlachtunternehmen wie das des Tönnies-Konzerns – ein lachendes Schwein, eine lachende Kuh, ein lachendes Rind – empfindet er als geradezu unerträglich. Wenn es das Geschäftsmodell sei, Lebewesen zu töten, so müsse ein Mindestmaß an Respekt dahinter stecken. „Wenn dann - wie bei Tönnies - der Schwanz der Kuh auch noch ein Herzchen formt, ist das eine Verhöhnung der Tiere“, sagt der Veganer.
„Menschengemachter Wahnsinn!“ (MvB-Kommentar auf Facebook zu einem Bericht über einen Brand in einer Schweinezuchtanlage mit Zehntausenden toten Tieren)
Auch wenn er selbst kein Freund von Ersatzprodukten für Fleisch sei („ich möchte nicht, dass es schmeckt wie totes Tier“), freue ihn die rasante Entwicklung bei der Produktion solcher Lebensmittel: „Für viele Menschen ist das ein Einstieg.“ Was er ebenfalls wahrnehme: „Ich erlebe immer häufiger, dass andere Menschen glauben, sich rechtfertigen zu müssen, weil sie noch Fleisch essen.“
Dass sich gesellschaftlich auf breiter Ebene etwas ändern wird, davon ist Martin von Berswordt-Wallrabe fest überzeugt. Auch jenseits der ethischen Ebene gebe es sehr überzeugende Argumente gegen einen übermäßigen Fleischkonsum. Gesundheitliche Aspekte gehörten genauso dazu wie die negativen Folgen durch die Herstellung von Tierfutter. „Wir kriegen das Klimaproblem ohne eine drastische Veränderung unserer Ernährungsgewohnheiten nicht in den Griff.“
Die Politik stehe aber auch noch aus anderen Gründen in der Pflicht, „schließlich ist der Tierschutz seit 2002 im Grundgesetz verankert“. Er traue der Ampel durchaus zu, hier etwas zu bewegen. Schließlich sei mit der CDU jene Partei nicht mehr in der Bundesregierung, die 16 Jahre lang die Lobbyinteressen der Lebensmittelindustrie ganz oben angesiedelt habe. Vor allem aber setze er „große Hoffnung“ in die jüngere Generation, sagt Martin von Berswordt-Wallrabe.
>>> VIER BUCHTIPPS: Von Seniorenkühen, Güllegruben und Wurstbäumen
„Allowed to Grow Old“ von Isa Leshko (University of Chicago Pr.; 28,99 Euro): „In diesem bewegenden Bildband hat die Fotografin Isa Leshko Tiere porträtiert, die üblicherweise schon im Alter von wenigen Monaten oder Jahren geschlachtet und gegessen werden. Haben Sie schon einmal ein alt gewordenes Schwein oder eine Senioren-Kuh gesehen? Dass diese Bilder so überraschend sind, zeigt, wie normal es für uns geworden ist, dass diese Tiere nicht alt werden dürfen. Die ganz persönlichen und nahen Porträts sind großartig und beklemmend zugleich.“ (mvb)
„Tierreich“ von Jean-Baptiste Del Amo (Matthes & Seitz; 26 Euro): „,Ein Roman wie eine Güllegrube’ - so bringt der Berliner ,Tagesspiegel’ das Buch des Franzosen treffend auf den Punkt. Das düstere Epos über Aufstieg und Untergang einer französische Bauernfamilie liefert ebenso tiefe wie abstoßende Einblicke in die menschliche Psyche und die Arbeitsweise eines Schweinezuchtbetriebs. Apokalypse now.“ (loc)
„Zufällig vegan: 100 Rezepte für die regionale Gemüseküche - nicht nur für Veganer“ von Marta Dymek (smarticular; 16,99 Euro): „Da kannst Du doch nur noch Salat essen!?!“ Wem die Phantasie fehlt, sich Gerichte ohne Fleisch und Milchprodukte vorzustellen, der wird hier erleichtert und überrascht. Sie kennen Spaghetti Napoli oder Bayerischen Kartoffelsalat? Beides bekannt, beides lecker, beides ohne Tierleid. Dieses Kochbuch baut die manchmal vorhandenen Hemmschwellen ab und zeigt, wie vielfältig sich eine vegane Ernährung gestalten lässt. Oder wie leicht sich bewährte Gerichte in den Speiseplan einbauen lassen, um weniger tierische Produkte zu konsumieren.“ (mvb)
„So haben wir das schon immer gemacht: Ein Bilderbuch übers Tiereessen“ von Carolin Günther (Nova MD; 22 Euro): „Übers Crowdfunding ist dieses Bilderbuch finanziert worden. Carolin Günther stößt uns mit vermeintlich schönen Illustrationen und bitterbösen Versen auf den Widerspruch, dass wir (Haus-)Tiere lieben und (Nutz-)Tiere leiden lassen. Das klingt dann zu einem Bild von um einen Wurstbaum tanzenden Kindern beispielsweise so: ,Die Augen verschließen,/taub stellen und schweigen./Die Wurst wächst am Baum/und wir tanzen nen Reigen.’ Oder: „Den Kindern wird nicht gerne verraten,/woher er kommt, der Alltagsbraten./Denn würden sie es wissen,/wär ein Bein kein Leckerbissen.’“ (loc)