Herne. In der Wahl-Arena stellten sich die Herner Bundestagskandidaten wichtigen Fragen. Wie stehen sie zu Klima, Hartz IV, Afghanistan? Ein Überblick.
Am Sonntag wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Eine Entscheidungshilfe gab die Wahl-Arena von WAZ, Radio Herne und VHS. 120 Minuten lang stellten sich die Bundestagskandidaten des Wahlkreises Herne/Bochum II, Michelle Müntefering (SPD), Christoph Bußmann (CDU), Jacob Liedtke (Grüne), Klaus Füßmann (FDP) Felix Oekentorp (Linke), und Markus Dossenbach (AfD), in den Flottmann-Hallen den Fragen von Michael Muscheid (WAZ) und Stefan Erdmann (Radio Herne). Zuschauerinnen und Zuschauer konnten die Diskussion im Livestream verfolgen und ihrerseits Fragen stellen. Ein Überblick über die wichtigsten Themen.
Umgang mit der AfD
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Die Podiumsdiskussion wurde von Protest begleitet. Es war das erste Mal, dass die AfD an der Wahl-Arena teilnahm. Die WAZ hatte die Kandidaten aller im Bundestag vertretenen Parteien eingeladen. Vor den Flottmann-Hallen hatte sich deshalb eine etwa 20-köpfige Gruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von Bündnis Herne, Schirme gegen Rechts und Verdi versammelt, um gegen den Auftritt des AfD-Kandidaten Dossenbach zu protestieren. „Mit Faschisten spricht man nicht und man gibt ihnen keine Bühne“, urteilte Markus Vordenbäumen von Bündnis Herne.
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Liedtke und Oekentorp hatten zunächst angekündigt, nicht an der Diskussion teilnehmen zu wollen, wenn ein Vertreter der AfD dabei sein sollte. Beide kamen schließlich doch, sparten aber nicht mit Verbalangriffen. So betonte Liedtke, er könne und wolle sich nicht daran gewöhnen, dass man mit „Vertretern faschistischer Parteien und ihren Steigbügelhaltern“ diskutiere.
Oekentorp, der auf dem Tisch vor sich einen kleinen Aufsteller mit der Aufschrift „Nein zur AfD“ platziert hatte, bezeichnete es als „fast nicht auszuhalten, mit einem Vertreter einer faschistischen Partei zu diskutieren.“ Letztlich habe er seinem Kontrahenten das Feld aber nicht kampflos überlassen wollen. Dossenbach, der vor seinem AfD-Beitritt 27 Jahre lang CDU-Mitglied war, nannte die Faschismus-Vorwürfe „abstrus“ und bezeichnete sich selbst als Vertreter der bürgerlichen Mitte.
Klima
Es ist eines der größten Themen dieser Wahl: Wie kann man den menschengemachten globalen Temperaturanstieg noch auf 1,5 Grad Celsius begrenzen? Grünen-Vertreter Liedtke bezeichnete den Klimaschutz „die globale Menschheitsaufgabe der Zukunft“ und forderte den großen Wurf statt weiteres Klein-Klein – zum Beispiel durch die Schaffung eines Klima-Ministeriums.
Gegen kleinteilige Maßnahmen sprach sich auch Füßmann aus. Er meinte damit allerdings die Grünen-Forderungen nach einem Tempolimit auf Autobahnen und der Förderung von Lastenfahrrädern. Stattdessen wiederholte er den FDP-Vorschlag, einen Zertifikatehandel einzuführen. Das würde heißen: Die Politik gibt vor, wie viel CO2 im Jahr ausgestoßen werden darf, und für den Ausstoß müssen Zertifikate erworben werden.
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Müntefering forderte die Unterstützung der Kommunen beim Klimaschutz und wartete mit konkreten Beispielen aus Herne auf. So müsse man vor Ort Solardächer auf alle öffentlichen Gebäude bauen. Bußmann (CDU) betonte dagegen, als allererstes dürfe Klimaschutz die Gesellschaft nicht spalten und die finanziell schlechter gestellten Bürgerinnen und Bürger nicht finanziell überfordern. Stattdessen müsse man die Trassen ausbauen und den Fokus auf Technologien wie Wasserstoff setzen.
Die AfD vertritt die Position, dass der Klimawandel nicht menschengemacht ist. So weit ging Dossenbach in der Diskussion nicht. Stattdessen betonte er, man solle darüber nachdenken, wieder stärker in Kernenergie als umweltfreundlichere Alternative zu investieren. Für einige Lacher sorgte Oekentorp (Linke). Sein Vorschlag zum Klimaschutz: die Bundeswehr langfristig abschaffen. Er finde es „makaber, dass im Kyoto-Protokoll von 1997 die militärischen Emissionen gar nicht mitgezählt werden.“
Hartz IV
Abschaffen oder nicht? Die Frage nach der Zukunft von Hartz IV spaltet die Parteien. SPD, Grüne, Linke, FDP und AfD wollen das System beenden und durch jeweils unterschiedliche Maßnahmen ersetzen. Bußmann – selbst dort in Gelsenkirchen angestellt – wehrte sich gegen das Klischee vom „bösen Jobcenter“. Die CDU wolle am Prinzip „Fordern und Fördern“ festhalten. Heißt: Auch mögliche Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger sollen bleiben.
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Oekentorp wusste dagegen aus der genau gegenteiligen Position zu berichten. Er habe selbst einige Jahre von Hartz IV leben müssen und wisse, das viele Leistungsbezieherinnen und -bezieher „hochmotiviert“ seien, aus dem System herauszukommen. Um sie zu unterstützen, plädierte er für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Diesen Vorschlag nannte Füßmann eine „Schnapsidee“, die nicht zu finanzieren sei. Das von der FDP vorgeschlagene liberale Bürgergeld schaffe dagegen Anreize für diejenigen, die sich etwas dazuverdienen wollten. Denn sie dürften die Hälfte oder mehr davon behalten.
Familienpolitik
Etwa 30 Prozent der Kinder in Herne leben in Armut. Was wollen die Parteien tun, um Familien besser zu unterstützen? SPD, Grüne und Linke sind sich einig in ihrer Forderung nach einer Kindergrundsicherung, kostenlosen Kita-Plätzen und einer Reihe weiterer Leistungen für Familien. Auf diese Weise könne man Kinder aus dem Hartz-IV-Kreislauf herausholen, betonte Liedtke (Grüne). Angesprochen auf die Finanzierung sagte Oekentorp (Linke), das Geld solle aus einer von der Linken vorgeschlagenen Vermögenssteuer kommen. Müntefering (SPD) sprach sich unter anderem dafür aus, die in der Corona-Pandemie festgelegte Erhöhung der Kinderkrankentage von 20 auf 30 beizubehalten.
Die FDP will Kindern den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab Ende des Mutterschutzes garantieren. Füßmann plädierte außerdem – genau wie zuvor Müntefering – dafür, bei Familienleistungen Bürokratie abzubauen. Bußmann und Dossenbach sprachen sich in erster Linie dafür aus, Kinderarmut durch Bildung und durch Jobmöglichkeiten für die Eltern zu beenden.
Die AfD definiert in ihrem Wahlprogramm die Familie als Konstrukt aus Vater, Mutter und Kindern. In der Diskussion musste sich Dossenbach daher die Frage gefallen lassen, ob ein gleichgeschlechtliches Paar mit Kindern keine Familie sein könne. Der AfD-Politiker relativierte: Im Programm habe man die traditionellen Familienkonstellation lediglich als Leitbild festgelegt, andere Konstellationen könnten aber auch eine Familie darstellen.
Afghanistan
Bittere Bilanz: Nach 20 Jahren internationalem Militäreinsatz in Afghanistaneroberten die radikalislamischen Taliban das Land innerhalb weniger Monate. Darin, dass das eine große „Niederlage des politischen Westens“ (Zitat Müntefering) war, stimmten die Kandidaten im Wesentlichen überein. Streit gab es allerdings über die Frage, in welcher Form den Menschen vor Ort geholfen werden soll. Liedtke kritisierte zunächst, dass die Bundesregierung im Juni einen Antrag seiner Partei auf Evakuierung afghanischer Ortskräfte abgelehnt hatte. In den vergangenen Wochen sei die Bearbeitung der Anträge von Ortskräften außerdem zu langsam und bürokratisch gelaufen.
Bußmann betonte in Bezug auf die bereits große Zahl der seit 2015 aufgenommenen Geflüchteten: „Ein Land hat auch gewisse Grenzen.“ Man müsse nun genau schauen, wer nach Deutschland einreise und auf eine gesamteuropäische Lösung setzen. Dossenbach (AfD) sagte, in erster Linie sollten die Nachbarländer geflüchtete Afghaninnen und Afghanen aufnehmen. Menschen mit Asylgrund und Ortskräfte der Bundeswehr könne man dagegen in Deutschland aufnehmen. Die vergangenen Wochen hätten außerdem die Erkenntnis gebracht, dass die Bundeswehr „überhaupt nicht einsatzfähig“ sei.