Herne. Wie der Verkehr die Städte verändert hat, erzählt die Ausstellung „Automobilism“ im Heimatmuseum – einer der Herner Beiträge zum Ruhr Ding.

Es war alles geplant für 2020 – und dann kam Corona, und das Ruhr Ding fiel nicht nur in Herne komplett ins Wasser. Jetzt geht der Veranstalter Urbane Künste Ruhr mit einer aktualisierten und erweiterten Form in die zweite Runde der städteübergreifenden Wanderausstellung im öffentlichen Raum. Das Thema bleibt: Klima. Vom 8. Mai bis zum 27. Juni ist Herne neben Gelsenkirchen, Recklinghausen und Haltern eine der beteiligten Städte. Vier Ausstellungsorte versprechen ungewöhnliche Kunsterlebnisse.

Zwei Künstlerinnen aus Köln bespielen das Heimatmuseum

Einer ist das Heimatmuseum in Unser Fritz. Dorthin hat die Kunst schon ihre Vorbotinnen geschickt. Ines Braun und Iris Stephan, zwei Künstlerinnen aus Köln, haben ihr umfangreiches Magazin an Fundstücken und Kuriositäten durchforstet und die ersten Stücke nach Wanne-Eickel transportiert, wo sie unter dem Titel „Automobilism“ einen Spagat hinlegen: Vom Triumph des Autos in den 60er Jahren über den Wandel der Städte im Ruhrgebiet hin zu Zentren des motorisierten Individualverkehrs – ohne ein einziges Fahrzeug abzubilden.

Ralf Piorr, Kurator der Ausstellung „Automobilism. Urbane Räume im Wandel“, die gerade im Heimatmuseum Unser Fritz (im Hintergrund) aufgebaut wird.
Ralf Piorr, Kurator der Ausstellung „Automobilism. Urbane Räume im Wandel“, die gerade im Heimatmuseum Unser Fritz (im Hintergrund) aufgebaut wird. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Wie hat das Auto unsere Stadt verändert? Dieser Fragestellung haben sich die Kuratoren der Wanner Ausstellung, Ralf Piorr und Katrin Lieske, auf zunächst konventionellem Weg genähert. Piorr, Mitarbeiter des Heimatmuseums, sah sich unter anderem im Opel Museum um, um dann festzustellen: „Man transportiert die Faszination Auto.“ Was nicht Sinn der Sache sein sollte. Also weg mit dem ganzen Chrom. „Am Ende stand die radikale Idee: Wir stellen nichts zum Auto aus. Keine Zapfsäule, kein Opel Manta, keine Blondinen, die auf Kotflügeln liegen.“ Stattdessen soll ein Eindruck davon vermittelt werden, wie „der Umbau der Stadt stattfindet“, mit seinen Auswirkungen auf das Klima.

Iris Stephan in der Ausstellung „Automobilism“, die gerade im Heimatmuseum Unser Fritz entsteht, in Kooperation mit Urbane Künste Ruhr. Die Kölner Künstlerin baut gemeinsam mit Ines Braun ihre Installationen auf.
Iris Stephan in der Ausstellung „Automobilism“, die gerade im Heimatmuseum Unser Fritz entsteht, in Kooperation mit Urbane Künste Ruhr. Die Kölner Künstlerin baut gemeinsam mit Ines Braun ihre Installationen auf. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Um das zu transportieren, hat Piorr zwei Künstlerinnen ausgesucht, die in Herne schon unter anderem im Emschertalmuseum ausgestellt haben, und die vor Jahren mit Freuden die ausgestopften Tiere mit nach Köln genommen haben, die das Heimatmuseum bei seinem Umbau loswerden wollte. Jetzt sind Hase und Igel zurückgekehrt, um in neuem Kontext – auf einem Stück Straße – das Verschwinden der Natur anzuzeigen. Im selben Raum im Erdgeschoss ist Iris Stephan gerade dabei, dem „feinen Staub“ eine Bühne zu bereiten. Schmutzig-grün-braune Töne an der Wand, dazu Objekte, wie sie typisch sind für die beiden Künstlerinnen, die Alltagsgegenstände zu skurrilen Installationen zusammenbauen. So bekommt das Schild „Bitte Füße abtreten“ auf einem Kasten mit einem Beinskelett eine ganz neue Bedeutung.

Schwertransport mit Rehkitz

Einen „Convoi exceptionel“ hat Ines Braun unterdessen eine Etage höher aufgebaut. Der von Autobahnen bekannte Schwertransport ist bei ihr eine Aneinanderreihung komischer Fahrzeuge, von der Heimorgel auf Rädern bis zur rollenden Wäschebox. Darauf: ein präpariertes Rehkitz, heimatlos. Die Installation wird noch ein Podest bekommen, während in der Vitrine nebenan schon bizarre Gebilde ausgestellt sind: Knöterich-Wurzelstöcke, in die die Künstlerin Autoglühbirnen gesteckt hat.

Ines Braun mit ihrem „Convoi exceptionel“, einem ungewöhnlichen Konvoi aus verschiedenen zusammengebauten Gefährten.
Ines Braun mit ihrem „Convoi exceptionel“, einem ungewöhnlichen Konvoi aus verschiedenen zusammengebauten Gefährten. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Beteiligt an „Automobilism“ ist außerdem Patrick Praschma, als Filmemacher bekannt in der Herner Kulturszene. Er produziert für die Ausstellung Filme zum Thema „Goldbach“ und zu der Imagebroschüre „Herne macht Schluss mit einem alten Vorurteil“ von 1972. Die Broschüre hatte damals der Herner Grafiker Wilhelm Zehrt entworfen. Darin wurden der günstige Industriestandort, die logistische Anbindung und die Freizeit-Gesellschaft mit dem Revierpark Gysenberg angepriesen.

Drei weitere Künstlerinnen in Herne

Drei weitere Künstlerinnen nutzen Orte in Herne für ihre Beiträge zum Ruhr Ding: Ana Alenso, Natalie Bookchin und Silke Schönfeld.

Ana Alenso befasst sich mit der globalen Abhängigkeit von Ressourcen und der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ausbeutung. In ihren Projekten beschäftigt sich die in Venezuela aufgewachsene und in Berlin lebende Künstlerin mit der internationalen Erdölwirtschaft oder dem Goldabbau in Lateinamerika und den Folgen der Förderung für Natur und Menschen. Ana Alensos Installationen sind aus Gerüstelementen, Schläuchen, Rohren und Fässern zusammengesetzt – oft handelt es sich um Gegenstände von Schrottplätzen. In Herne entsteht „Die Mine gibt, die Mine nimmt“ im Alten Wartesaal im Herner Bahnhof.

Ana Alenso installiert für Ruhr Ding im Alten Wartesaal „Die Mine gibt, die Mine nimmt“. 
Ana Alenso installiert für Ruhr Ding im Alten Wartesaal „Die Mine gibt, die Mine nimmt“.  © Ana Alenso

Als Pionierin der Netzkunst hat sich Natalie Bookchin (New York) bereits in den 1990er Jahren mit den Strukturen und der Ästhetik des Internets beschäftigt. In ihrer für das Ruhr Ding entwickelten Videoarbeit „Geisterspiele“ fragt sie: Wie sieht die Pandemie von zu Hause aus? Und wie klingt sie? Dafür hat die Künstlerin um die Zusendung von kurzen, in privaten Wohnräumen gefilmten Handyvideos gebeten, die sich auf häusliche Klänge und ihre Quellen fokussieren. Aus dem Material ist eine umfassende Sound- und Mehr-Kanal-Videoinstallation im obersten Stock eines der Herner Wohntürme entstanden.

Mit der Filminstallation „Family Business“ widmet sich Silke Schönfeld der ehemaligen McDonald’s-Filiale in der Herner Bahnhofstraße und ihrer Besitzerfamilie Vossen. Einst Haushaltswarenladen, wurde aus dem Geschäft später eine der ersten Filialen der Schnellrestaurantkette im Ruhrgebiet. Bis hin zu seiner heutigen Nutzung als Bandproberaum zeichnet Schönfelds Filminstallation die Geschichte des Ortes und seiner Protagonisten nach. Diese ist eng verzahnt mit sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen von Konsum, Esskultur und Freizeitgestaltung. Silke Schönfeld lebt in Amsterdam und Dortmund.