Herne/Wanne-Eickel. Die Studentin Tina Jelveh wurde im Oktober 2009 überraschend Bürgermeisterin von Herne – mit 24 Jahren ist sie die jüngste im ganzen Land. Ihr Leben hat sich seither auf den Kopf gestellt.
Wenn sie bei Empfängen vorgestellt wird, als „unsere sehr verehrte Bürgermeisterin" etwa, dann huscht noch dieser ungläubige Ausdruck über ihr Gesicht. So als realisiere sie gerade: Mensch, das bin ja ich. Tina Jelveh ist seit zwei Monaten Bürgermeisterin von Herne. Und mit ihren 24 Jahren die jüngste im ganzen Land.
Spagat zwischen Amt und Studium
Nicht nur neu in diesem Amt ist sie, sondern mehr oder weniger auch in der Politik. Im September erst zog sie in den Rat ein und wurde gleich in der ersten Sitzung von ihrer Partei, Bündnis 90/Die Grünen, als Bürgermeister-Kandidatin aus dem Hut gezaubert – und im Anschluss von der rot-grünen Mehrheit gewählt.
Ihr Leben hat sich seither auf den Kopf gestellt. Von der Studentin zur Bürgermeisterin, das wäre eine Überschrift! Aber Tina Jelveh ist ja beides. Und nicht nur das. „Ich mach' gerade einen Spagat", sagt sie, was nichts Geringeres ist als die Untertreibung des Jahres. Die junge Frau steckt mitten im Examen, in ihrer Fraktion arbeitet sie sich in die Arbeit, nun ja: die Politik ein, und jetzt vertritt sie auch noch die Stadt bei offiziellen Anlässen.
Abschrecken lassen will sie sich von all dem nicht, auch nicht von dem vielen Papierkram, der sich auf ihrem Schreibtisch türmt. Im Gegenteil: „Ich hab' einen Anspruch", sagt Jelveh. Nicht nur anpacken will sie ihre Aufgaben, sondern erledigen. Und das gut. Man merkt ihr an: Sie hat in die Hände gespuckt, hat Feuer gefangen, will etwas bewegen.
Sie muss sich beweisen
Dass der eine oder andere noch ungläubig schaut, wenn sie auftaucht, auf dem Rathausflur oder beim Empfang für die Partnerstadt, damit kann sie leben. „Ich hab' ja noch nichts geleistet", weiß die 24-Jährige. Und: Die Ochsentour durch die Ortsverbände, die in anderen Parteien nach vielen Jahren schon mal mit dem Bürgermeister-Posten belohnt wird, musste sie sich nicht antun. Auch deshalb will sie hart arbeiten: Sie muss sich beweisen.
Verkrampft ist sie deshalb noch lange nicht. Eher erfrischend. Erfrischend anders auf einem Parkett, das nicht gerade von selbstbewussten jungen Frauen geprägt ist. Mutig und zielstrebig geht sie da ans Mikrofon, ihre Jungfern-Rede im Rat, ihre Kritik am geringen Anteil der Frauen in leitender Rathaus-Funktion, das hat sie genauso gemeistert wie die ersten Auftritte als Bürgermeisterin.
In Blazer und Turnschuhen
Dass sie sich noch finden muss in ihren Rollen, das weiß sie trotzdem. Arbeiten muss sie etwa noch an den Reden, die ihr das Oberbürgermeister-Büro zusteckt, wenn sie in Vertretung des OB zu Begrüßungen fährt. Ihre Worte sind das noch nicht, so wie neulich, als sie Schüler im Begegnungszentrum Holthausen für ihre Arbeit am neuen Kinderstadtplan lobt. Da gibt sie in Blazer und Turnschuhen zwar ein authentisches (wie repräsentables) Bild von sich, hält sich aber zu stark an die Vorgabe – und wirkt so etwas steif für eine Frau, die auch Studentin ist.
Das Bürgermeister-Amt ausfüllen, das heißt für Jelveh auch: eigene Akzente setzen. Als Vertreterin des OB will sie künftig verstärkt zu Veranstaltungen rund um die Themen Jugend oder Migration gehen. „Das", so Jelveh, „wäre glaubwürdiger." Glaubwürdiger auch deshalb: Mit acht Jahren kam sie aus dem Iran nach Deutschland, lebte mit ihrer Familie erst im Wohncontainer an der Kanalschleuse, bevor sie eine eigene Wohnung fand. Heute, sagt die Frau aus Unser Fritz stolz, „bin ich ein vollwertiger Staatsbürger". Und als Ratsfrau genauso wie als Bürgermeisterin könne sie nun zeigen, dass man was erreichen kann im Land.
Am Ende eines langen Tages ist sie wieder ganz authentisch. Nach dem Empfang, bei dem sie die Stadt vertreten hat, fährt sie mit Freunden in die Disco nach Bochum. Den städtischen Fahrer, der ihr bei Terminen zusteht, hat sie da längst nach Hause geschickt. „Unsere sehr verehrte Bürgermeisterin" steigt in den Bus und zeigt dem Fahrer ihr Studenten-Ticket.