Herne. Dr. Markus Bruckhaus-Walter verrät im Interview, wie Angst und hohe Corona-Infektionszahlen in Herne hätten verhindert werden können.
Markus Bruckhaus-Walter ist seit 25 Jahren als niedergelassener Hausarzt in Herne tätig. Seit dem Beginn der Pandemie ist in den Arztpraxen jedoch nichts mehr so, wie es war. Viele Patienten sind angesichts des Wirrwarrs um die Corona-Regeln verunsichert. Markus Bruckhaus-Walter hat uns erzählt, welche Rolle Hausärzte als Experten vor Ort in Pandemiezeiten übernehmen und wie Angst und hohe Infektionszahlen hätten verhindert werden können.
Herr Dr. Bruckhaus-Walter, wie hat sich Ihre Rolle als Hausarzt in den Zeiten der Pandemie verändert?
Wir sind die Feuerwehrleute vor Ort wenn es um medizinische Fragen, die Behandlung der Ängste der Menschen und die Vermittlung von nicht nachvollziehbaren politischen Entscheidungen geht. Fehlinformationen führen noch immer zu einem erheblichen Stress in den Praxen. Wir führen mit den Patienten sehr häufig Krisengespräche, ohne selbst die Grundlage dafür zu haben.
Welche Ängste und Sorgen umtreiben die Menschen?
Das hauptsächliche Problem ist die Verunsicherung. Wir haben es erst vor wenigen Tagen wieder erfahren müssen: Das mit den Impfstoffen ist ein ewiges Hin und Her und keiner weiß so richtig Bescheid. Diese logistischen Fehler, die gemacht worden sind, wären vermeidbar gewesen, wenn Profis am Werk wären, Menschen, die Erfahrung darin haben, Dinge großflächig zu verteilen. Unser Oberbürgermeister beschwert sich zu Recht, wenn er sagt "man hat es uns zugesagt und es wird nicht eingehalten". Man kann die Sachen erst verteilen, wenn man sie hat. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der immer wieder missachtet worden ist. Es kann auch nicht sein, dass Masken empfohlen werden, die entweder gar nicht da sind oder wenn nicht klar ist, wie diese Masken verteilt werden sollen. Die Organisation von guten Dingen, die man auf den Weg bringen will, laufen völlig konträr zu der Realität.
Die Impfstraßen sind teuer eingerichtet worden. Sie stehen aber jetzt ein oder sogar zwei Monate leer. Auch die Abstrichzentren haben sich nicht bewiesen. Diese Zeit hätte man viel mehr in Aufklärung stecken können, damit die Menschen weniger Angst haben und sich den Maßnahmen, die wichtig sind, unterwerfen. Sie machen es ja deshalb nicht, weil sie gar nicht mehr wissen, was sie richtig und was sie falsch machen. Wir können kaum noch Medizin machen, weil wir ganz viele Ängste, Unsicherheiten und Unklarheiten zu befriedigen haben.
Das heißt, man hätte aus Ihrer Sicht auf die Impfstraßen verzichten können?
Die ganze Impfdiskussion ist voreilig auf den Weg gebracht worden – ohne die Wege zu berücksichtigen, wie man den Impfstoff an die Patienten bringt. Die Menschen, die draußen noch aktiv sind, das sind nicht diejenigen, die zuerst geimpft werden. Aber warum impft man die alten Leute? Weil man nicht möchte, dass sie auf die Intensivstationen kommen. Deswegen haben sie den ersten Impfstoff in die Seniorenheime gebracht. Der zweite Impfstoff soll etwas besser sein, also nicht so schlecht zu lagern und somit transportabel. Ich verstehe die Sinnhaftigkeit einer Impfstraße nicht, wenn man überlegt, welchen Aufwand das hat. Es wäre durchaus sinnvoller gewesen, wenn man diese Aufgabe den Hausärzten oder anderen impfenden Ärzten überlassen hätten.
Hausärzte betreuen viele Patienten, die zu einer Risikogruppe gehören. Müssten Hausärzte nicht viel weiter oben auf den Priorisierungsliste der Ständigen Impfkommission stehen?
Man hat keinen Impfstoff und macht eine Priorisierungsliste und erzeugt so schon im Vorfeld Stress. Stress deshalb, weil die einen oder anderen sagen "Ich möchte es aber auch haben" oder "Ich möchte es nicht haben". Dass man irgendwo anfangen muss, ist klar. Aber da ist so viel Sprengstoff enthalten und es gibt zu unklare Definitionen der einzelnen Gruppen, die man nur grob zusammengefasst hat.
Es werden vor allem die Menschen geimpft, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Erkrankung an dem Virus sterben könnten. Man muss sich aber überlegen, wie man diese Menschen noch schützen kann. Ich hätte mir vorstellen können, dass man all die Menschen, die anderen Menschen helfen sollen und somit potenzielle Übertrager des Virus sind, zuerst impft. Das wären neben den Ärzten auch die Angehörigen, die ihre Eltern oder Großeltern zuhause pflegen.
Vor allem Seniorenheime und Kliniken sind in Herne Treiber der Pandemie. Welche Maßnahmen sind Ihrer Ansicht nach notwendig, um das Infektionsgeschehen in Herne zu minimieren?
Es gibt viele Ansätze, der Pandemie zu begegnen, zum Beispiel durch eine Reduktion der Klassenstärken. Es wäre durchaus möglich, zweimal am Tag einen Blockunterricht zu gestalten. Ich würde den öffentlichen Nahverkehr reduzieren und Schüler dazu anregen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Ich würde die Personenzahlen in den Busse reduzieren. Man könnte umliegende Reiseunternehmen bitten, ihre Busse einzusetzen, damit sie auch ein wenig Geld verdienen und ihre Fahrzeuge nicht stehen lassen müssen.
Man könnte den Menschen anbieten, ihre im Altenheim lebenden aber noch recht mobilen Angehörigen nach Hause zu holen. Dann habe ich nur eine kleine Gruppe, die mit den Senioren in Kontakt tritt. Dass das nicht überall machbar ist und dass nicht jeder nach Hause kann, ist klar. Dann gibt es ganz viele Menschen, die wenig Geld verdienen. Es wäre durchaus vorstellbar, diesen Menschen einen Teil aus der Pflegekasse zu zahlen, weil sie ihre Angehörigen pflegen.
Kann man diese Aufgabe Angehörigen zumuten?
Wenn Sie sich mit ihren Großeltern unterhalten, die haben auch teilweise auf zehn, zwanzig Quadratmetern gelebt mit mehreren Personen. Da scheitert es dann glaube ich am Egoismus und der falschen Angst der Angehörigen, dass sie ihre Eltern oder Großeltern anstecken. Wenn ich die Hygienestandards zuhause einhalte, dann ist das Ansteckungsrisiko doch viel geringer als auf einer großen Station mit vielen alten Menschen, wo das Virus, wie wir wissen, viel häufiger auftaucht.
Das Pflegepersonal aus den Altenheimen könnte dann zum Beispiel auf den normalen Krankenstationen eingesetzt werden, damit die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger auf den Intensivstationen aushelfen können. Den Pflegenotstand kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht ändern.
Sie kritisieren die mangelnde Enthysterisierung der Menschen. Wie können Panik und Angst in Pandemiezeiten verhindert werden?
Aufklärung. Warum gibt man den Leuten nicht einen Plan an die Hand? Es hat drei Monate gedauert bis endlich mal erklärt wurde, was hygienische Standards sind. Wir haben sechs oder sieben Monate gebraucht, damit in den Schulen zumindest teilweise Hygiene gelebt wird. Es ist so viel Zeit damit vergeudet worden, sich zu profilieren. Das finde ich schade, weil ich glaube, dass die Menschen Ratschläge gerne annehmen und diese auch beherzigen.
Letztendlich müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass wir die Menschen an die Hand nehmen müssen. Wir müssen versuchen, die Leute zu enthysterisieren, in dem wir hergehen und sagen "Ich helfe dir. Ich werde dir helfen. Und wenn du Angst hast, dich zu infizieren, ziehe ich nicht, weil ich glaube, dass ich infektiös bin, eine Maske an. Sondern dir zuliebe, damit du ein gutes Gefühl hast."
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>>> Informationen zur Person
Dr. Markus Bruckhaus-Walter hat im Jahr 1991 sein Medizinstudium an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossen. Nach der klinischen Ausbildung in der inneren Medizin, Chirurgie und Orthopädie übernahm er 1996 die Hausarztpraxis in Herne an der Bahnhofstraße, die er seit Juli 2000 mit Dr. Michael Bruch als Gemeinschaftspraxis führt.
Bruckhaus-Walter ist verheiratet und hat drei Kinder aus erster Ehe. Vor zwei Jahren verließ er die Stadt Herne und wohnt seitdem im benachbarten Castrop-Rauxel.