Herne. Herne hat sich in der Corona-Krise professionell aufgestellt, sagt CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak im WAZ-Interview. Er hat aber viele Sorgen.
Am Donnerstag war der CDU-Bundestagsabgeordnete und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak (34) in Herne unterwegs, er sprach mit Vertretern von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Medizin. Das Interview mit der WAZ wurde aber per Video-Schalte geführt – keimfrei.
Gefühlt halb Deutschland ist wegen der Corona-Krise gerade im Homeoffice. Auch der CDU-Generalsekretär?
Der Kalender ist immer noch voll. Veranstaltungen finden aber kaum noch statt, ich telefoniere noch viel mehr als sonst, und Besprechungen finden per Videokonferenz statt. Die Vorbesprechung der CDU-Führung mit der Bundeskanzlerin und den Unionsministern, an der ich sonst jeden Mittwochmorgen in Berlin im Kanzleramt vor dem Bundeskabinett teilnehme, findet beispielsweise ebenfalls digital statt. Ebenso sind Fraktionssitzungen im Bundestag, das Präsidium und der Bundesvorstand der CDU digital. Das gab es so noch nie. So vorteilhaft das auch ist: Ich will nicht verhehlen, dass mir da etwas fehlt – der persönliche Kontakt zu den Menschen.
Wie erleben Sie die Corona-Krise?
In der Politik erlebe ich eine große Ernsthaftigkeit, nicht nur in den Regierungsparteien, auch in der Opposition. Außerdem erlebe ich, dass wir mit unserem Gesundheitssystem besser dastehen als andere Staaten. Ich sehe zudem den großen Zusammenhalt und viel Hilfsbereitschaft der Bürger untereinander. Sorge bereiten mir die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise. Was ist etwa mit denen, die keinen Kontakt zu anderen haben? Oder die nicht in einem großen Haus mit Garten wohnen? Und was ist mit Kindern, die zu Hause nicht so viel Unterstützung bekommen? Machen wir uns nichts vor: Auch in Herne gibt es Kinder, die zu Hause keinen eigenen Schreibtisch haben, geschweige denn einen eigenen Laptop oder ein Tablet. Um diese Kinder müssen wir uns kümmern. Sie werden viel Förderbedarf haben, wenn die Schule wieder losgeht.
Wie gut ist Herne in der Corona-Krise aufgestellt?
Das, was ich in Herne erlebe, ist eine große Professionalität, sowohl von Oberbürgermeister Frank Dudda als auch von Frank Burbulla, dem Leiter des Krisenstabes. Aber nicht nur von ihnen: Ich habe beispielsweise gemeinsam mit Timon Radicke das Universitätsklinikum Marien Hospital besucht. Dort wurden durch das medizinische Team um Geschäftsführer Theo Freitag, Simone Lauer und Professor Timm Westhoff die Intensivbetten massiv aufgestockt, eine eigene Covid-19-Station wurde im neunten Stock aufgebaut, und es gibt ein großes Engagement bei den Pflegekräften. Das ist ein gutes Beispiel für die Professionalität.
Zum Fahrplan von Bund und Land in der Corona-Krise, der am Mittwoch bekannt gegeben wurde: Teilen Sie die Beschlüsse?
Es ist der richtige Weg, schrittweise, verantwortungsvoll und behutsam vorzugehen – auch, was die Großveranstaltungen angeht. Herne ist da ja mit der Cranger Kirmes ebenfalls betroffen. Und es gibt jetzt wenigstens etwas Planungssicherheit.
Kritik gibt es etwa aus der Wirtschaft: Sie hat sich einen schnelleren Ausstieg aus dem „Shutdown“ erhofft.
Mir sind die Sorgen sehr bewusst. Aber immerhin kann der Einzelhandel ja jetzt teilweise wieder öffnen. Und Produktionsstätten, Firmen und Gewerbe, auch hier in Herne, sind ja nicht geschlossen – das will ich an dieser Stelle einmal betonen. Sie müssen aber die Sicherheitsbestimmungen zum Gesundheitsschutz einhalten. Und viele Unternehmen, etwa Automobilhersteller, produzieren deshalb nicht, weil sie die Absatzmärkte nicht mehr haben. Nur da, wo es viel Publikumsverkehr gibt, gibt es ein Verbot. Aber natürlich sind die wirtschaftlichen Folgen insgesamt immens und in einer Größenordnung, die es so noch nie gab. Aber: Das Förderprogramm, das wir im Bund auf den Weg gebracht haben, die Kredite und die Bürgschaften, die Soforthilfen für kleine Unternehmen, das ist das größte Wirtschaftsprogramm, das es jemals in dieser Republik gab.
Wie reibungslos wird der Start ins weitere Schuljahr gelingen?
Da brauchen wir nun eine gute Vorbereitung. Deshalb ist es richtig, zunächst mit den Abschlussklassen zu beginnen und die Schulen schrittweise zu öffnen. Das gibt Zeit für alle Vorkehrungen, denn ich spüre eine große Verunsicherung bei Lehrern, mit denen ich mich auch in Herne unterhalten habe. Sie wissen nicht, wie es weitergeht, wie sie in dieser Lage unterrichten sollen und wie die Schutzvorrichtungen aussehen. Das muss nun besprochen werden, bevor es Stück für Stück losgeht.
Generalsekretär der CDU in Deutschland
Paul Ziemiak (34) ist seit Ende 2018 Generalsekretär der CDU in Deutschland. Bei der Bundestagswahl 2017 trat er als Nachfolger von Ingrid Fischbach für die CDU im Wahlkreis Herne/Bochum II an und zog über die Landesliste erstmals in den Bundestag ein. Den Wahlkreis gewann erneut Michelle Müntefering (SPD).
Ziemiak wurde in Stettin geboren, wuchs zunächst in Polen auf und kam mit seiner Familie als Aussiedler nach Deutschland. Er machte sein Abitur, sein Studium blieb ohne Abschluss. Von 2014 bis 2019 war er Bundesvorsitzender der Jungen Union. Er lebt ihn Iserlohn, hat aber ein Wahlkreisbüro in Herne. Ziemiak ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Vor der Corona-Krise war Ihr Hauptthema zuletzt ja der CDU-Bundesvorsitz. Gibt es nun einen Termin für die Wahl eines neuen Parteichefs?
Es würde keiner verstehen, wenn wir aktuell unsere Kraft darauf verwenden würden, einen Sonderparteitag vorzubereiten. Jetzt stellen sich Fragen, die viel größer sind als unsere Partei. Viele unserer Mitglieder und Abgeordneten sind gerade damit beschäftigt, wie man diese Krise bewältigt. Nicht damit, wer CDU-Vorsitzender wird. Das gilt übrigens auch für die Kandidaten. Alles Weitere entscheiden wir gemeinsam und der Lage angemessen.
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Wird Deutschland am Ende der Corona-Krise ein anderes Land sein?
Diese Krise wird vieles in Deutschland, in Europa und auf der ganzen Welt ganz grundsätzlich verändern. Die Welt nach Corona wird eine andere sein als vorher. Wir werden etwa industriepolitisch an der einen oder anderen Stelle nachdenken müssen, um künftig etwa bei Medikamenten und Schutzkleidung wieder unabhängiger vom Ausland zu werden. Auf unser Gesundheitssystem etwa können wir stolz sein, das müssen wir erhalten. Wir müssen angesichts einer sich rasant verändernden internationalen Ordnung diskutieren, welche Rolle Deutschland in der Welt spielen will und wie wir in Deutschland zusammenleben möchten. Dazu gehören diese Fragen: Wie kommunizieren, wie reisen wir künftig? Wo produzieren wir unsere Arzneimittel? Wie schützen wir uns, und wie arbeiten wir international zusammen?
Ihre Antwort?
Die Antwort kann nicht sein, dass wir uns einschließen und als Deutsche zuerst an uns denken und nicht mehr in europäischen, globalen Zusammenhängen. Wir können nur gestärkt aus dieser Krise herausgehen, wenn wir erkennen, dass sich die großen Fragen der Zeit nur im europäischen und internationalen Zusammenspiel lösen lassen. Das zeigt doch diese Pandemie. Das Virus macht nicht an Ländergrenzen halt. Am Ende werden wir auch ein anderes Europa erleben – ich hoffe ein besseres. Ein solches, in dem man erkennt, dass alles besser läuft, wenn man zusammenhält.