Herne. Die DGB-Geschichtswerkstatt hat die Geschichte des Herner Polizeigefängnisses erforscht. Am 10. April 1945 öffneten sich dort die Türen.

Vor 75 Jahren, am 10. April 1945, werden Herne und Wanne-Eickel von US-Truppen besetzt und vom NS-Terrorregime befreit. Bis in die letzten Tage läuft in Herne die Mordmaschine auf Hochtouren. Der letzte Weg vieler Opfer beginnt im Herner Polizeigefängnis.

Ab Herbst 1944 werden Gefängnisse "evakuiert"

Seit dem überraschenden Vorstoß der Westalliierten in den Aachener Raum, im Herbst 1944, steigt bei NS-Behörden, Justiz und Polizei die Nervosität. Ende September 1944 wird im Befehlsstand der rheinisch-westfälischen Sicherheitspolizei in Düsseldorf festgelegt, dass die Häftlinge bei wachsender Unsicherheit der Lage „aus den Gefangenenanstalten abgeholt und liquidiert“ werden sollen. Kurz darauf beginnen im Ruhrgebiet die „Evakuierungen“ von heillos überfüllten Gefängnissen und die Auflösung der Arbeitslager.

So werden am frühen Morgen des 5. Februar 1945 sowjetische Häftlinge aus dem Polizeigefängnis Herne mit einem LKW abgeholt, nach Hunswinkel in der Nähe von Lüdenscheid gebracht und erschossen. Von der auch für Herne und Wanne-Eickel zuständigen Gestapo-Leitstelle in Dortmund-Hörde wird nach der alliierten Rhein-Überquerung im März 1945 angeordnet, die Gefangenen frei zu lassen oder sie in ein zentrale Sammel- und Auffanglager der Gestapo in Dortmund-Hörde zu überführen. Innerhalb kurzer Zeit treffen hier jetzt laufend Häftlingstransporte aus allen Richtungen des Ruhrgebiets ein. Die Lage eskaliert vollends, als am 1. April 1945 bei Lippstadt der Ruhrkessel geschlossen ist und die alliierten Truppen mit großem Tempo auf Ruhr und Emscher vorrücken.

Erschütternder Bericht einer jungen Sozialistin

Unter den Häftlingen im Hafthaus und Polizeigefängnis am Adolf-Hitler-Platz (Friedrich-Ebert-Platz) herrschen Angst und Panik. Nach vorbereiteten Listen werden die Häftlinge für den Transport in den Tod selektiert. Hilde Lucke, junges Mitglied einer sozialistischen Widerstandsgruppe (SPD-MdB 1965-76) ist im Polizeigefängnis inhaftiert. Sie erinnert sich: „Es war entsetzlich, einfach entsetzlich.(…) In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag hörte man Schüsse, die Zellen wurden aufgeschlossen, zwei holländische Mithäftlinge weinten. Ich selbst dachte, dass es jetzt aus ist mit mir. Auf einmal hieß es: Lucke fertig machen!“ Wie durch ein Wunder bleibt sie verschont und wird nur in eine andere Zelle gebracht. Am nächsten Morgen berichten Kalfaktoren von schweren Schießereien. Zwei völlig betrunkene Beamte meinen, was in der Nacht geschehen sei, könne nie wieder gut gemacht werden.

In dieser Nacht beginnt auch der Golgatha-Weg von deutschen und französischen Nazigegnern aus dem Drahtwerk Union in Lippstadt. Ein Mithäftling berichtet später: „In der Nacht von Gründonnerstag zum Karfreitag 1945 wurden die Lippstädter Arbeiter abgeholt. Man erklärte ihnen, sie sollten keinen Fluchtversuch unternehmen, andernfalls würden sie erschossen, sie kämen nach Dortmund zur Entlassung. Merkwürdig war mir nur, dass sie aneinandergefesselt wurden.“

Erschießungen im Dortmunder Rombergpark

Die 13 Gestapo-Gefangenen werden nach Hörde gebracht und kurz vor Ostern, mit etwa 300 weiteren politischen Häftlingen im Rombergpark durch Genickschuss getötet. Bei einem der Lippstädter Opfer handelt es sich um den 34-jährigen französischen Schweißer Leon Chadirac, dem Herne nicht unbekannt war. Vor seinem Einsatz in Lippstadt ist der Kriegsgefangene in Herne zur Zwangsarbeit abkommandiert.

Seit dem Jahreswechsel 1944/45 werden lange Kolonnen vom Hunger ausgemergelter und zerlumpter, insbesondere russische Zwangsarbeiter auch aus umliegenden Städten in Richtung Dortmund durch die Stadt getrieben. Wer den Strapazen nicht gewachsen ist und zurückbleibt, wird von der Wachmannschaft erschossen. Die Leichen werden in Bombentrichtern verscharrt oder einfach am Straßenrand liegen gelassen. Nach vorsichtigen Schätzungen kommen von den zehntausenden Zwangsarbeitern in 76 nachgewiesenen Lagern über 1700 Gefangene zu Tode. Nicht wenige von ihnen in den letzten Wochen des Krieges.

Volkssturmangehörige erschießen Russen in Herne

Im Einzugsbereich der örtlichen NSDAP-Ortsgruppen sind unter dem Kommando „alter SA-Kameraden“ Volkssturmwachen eingerichtet. Am 5. April 1945 etwa bekommt ein Angehöriger der Volkssturmwache Constantin, die in den letzten Kriegswochen zahlreiche Exekutionen ausführt, den Befehl, zum Polizeigebäude zu gehen und weitere Aufträge entgegen zu nehmen. Von einem Polizeibeamten werden ihm zwei Männer übergeben die, wie andere zuvor, erschossen werden.

Nach Unterlagen des Stadtarchivs sollen im Herner Süden an einem einzigen Tag 70 versprengte Russen die „an einem Morgen herrenlos angelaufen“ kommen, kaltblütig liquidiert worden sein. Volkssturmangehörige der NS-Ortsgruppe Stadtgarten erschießen eine unbekannte Anzahl von vermeintlichen „Plünderern“. Derweil ist man in der Stadtverwaltung, bei der Polizei und den Arbeitsämtern in beiden Städten eilig bemüht, belastende Unterlagen und Akten zu verbrennen.

Am 10. April 1945 endet in Herne und Wanne-Eickel der Krieg

Bis zum frühen Morgen des 10. April 1945 fordert der fanatische „Endkampf“ des „Freikorps Sauerland“, einer Sondereinheit des Volkssturms, oberhalb der Vödestraße noch sinnlose Opfer. Gegen 10 Uhr ist in Herne in der Hand von US-Truppen. Etwa zeitgleich passiert das auch in Wanne-Eickel, nachdem tags zuvor die Kreisleitungen der NSDAP, wie in Herne, fluchtartig die Stadt verlassen haben. Beiderseits des Rathausplatzes öffnen sich im Polizeigefängnis und Hafthaus endlich die schweren Zellentüren.

>>> Norbert Arndt gehört der DGB-Geschichtswerkstatt an, die schwerpunktmäßig die NS-Zeit in Herne und Wanne-Eickel erforscht.

>>> Die Hobby-Historiker setzen sich für die Einrichtung eines ständigen Lern- und Gedenkortes im ehemaligen Polizeigefängnis im Hof des Polizeipräsidiums ein.