Herne. Giftige Raffinerierückstände auf der Deponie: Warum SPD und Herner Bürger erneut Behörden kritisieren und was sie vom Land erwarten.
Die Lagerung gefährlichen Raffinerieabfalls des Konzerns Shell auf der Zentraldeponie an der Stadtgrenze zwischen Herne und Gelsenkirchen schlägt weiter hohe Wellen. Die Antworten der Landesregierung auf konkrete Anfragen stößt auf Kritik der SPD. Die Bürgerinitiative Uns stinkt’s wirft dem NRW-Umweltministerium Unkenntnis und der Bezirksregierung einmal mehr Versagen vor.
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Ein Abfallgemisch mit mehr als 34.000 Tonnen gefährlicher Rückstände der Shell-Raffinerie Wesseling bei Köln - vom Unternehmen jahrzehntelang fälschlicherweise als Petrolkoks deklariert - ist in den vergangenen zwei Jahren auf der Deponie gelagert worden. Rechtlich und fachlich ist dies aus Sicht der zuständigen Bezirksregierung Münster „ein einwandfreier Entsorgungsvorgang“. Den Ruf des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters Frank Baranowski nach einem vorläufigen Lieferstopp wies die Aufsichtsbehörde deshalb im Januar zurück.
Kleine Anfrage an die Landesregierung
In einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung forderten die SPD-Landtagsabgeordneten Alexander Vogt (Herne) sowie Heike Gebhard und Sebastian Watermeier (Gelsenkirchen) nun Aufklärung über das auf der Deponie abgeladene Gemisch aus giftigen Raffinerie-Rückständen, Schlämmen und Stäuben. Bei der Vermischung entstünden keine Schadstoffe oder Nebenprodukte, antwortete das Umweltministerium. Und: Analysen über das Gemisch würden vom Betreiber der Behandlungsanlage „als Betriebsgeheimnis angesehen“ und könnten deshalb nicht veröffentlicht werden. Alle Anforderungen der Deponieverordnung würden eingehalten, so das Land.
SPD-Politker Vogt gibt sich damit nicht zufrieden: „Die Antworten der Landesregierung auf unsere Anfragen sind nicht ausreichend.“ Es werde nicht klar, wie sich die auf der Deponie abgelagerten Stoffe zusammensetzen. Vogt: „Aus meiner Sicht muss verhindert werden, dass giftiger Müll aus anderen Landesteilen über Vermischungen und Zwischenverkäufe auf der Deponie Emscherbruch abgelagert wird.“
Initiative beklagt fehlende Transparenz
Er werde auch weiterhin Anfragen in dieser Angelegenheit an die schwarz-gelbe Landesregierung richten, kündigt der Sozialdemokrat an. Seine zentralen Forderungen: „Wir brauchen ein festes Schließungsdatum der Deponie, Kontrolle über die abgelagerten Stoffe und Maßnahmen, die die bestehenden Belastungen reduzieren.“ Die von der Stadt geplante Einführung von Tempo 30 im Bereich der Deponie sowie der von Deponiebetreiberin AGR angekündigte Bau einer neuen Reifenwaschanlage seien hier notwendige Maßnahmen.
Die Bürgerinitiative Uns stinkt’s (BI), die gegen die Erweiterung der Deponie kämpft, teilt die Kritik der SPD. Die Vorgänge seien trotz der Aufklärungsversuche des Umweltministeriums nicht transparenter geworden, so BI-Sprecher Heinz-Peter Jäkel zur WAZ. Fest stehe bisher: Bei den Raffinerierückstanden aus der Schwerölvergasung durch Shell handele es sich um „gefährlichen, giftigen Sondermüll, der Vanadium und Nickel in so hohen Konzentrationen enthält, dass er nur in geeigneten Deponien entsorgt werden darf“. Eine Lagerung auf der Zentraldeponie ist nach Einschätzung der BI deshalb unzulässig.
BI: Überforderung oder Ignoranz?
Auch die Initiative hat sich um weitere Aufklärung bemüht und der Bezirksregierung auf Grundlage des Umweltinformationsgesetzes einen Fragenkatalog übermittelt. Die Antworten bestätigen BI-Sprecher Jäkel in der Einschätzung, dass die Aufsichtsbehörden keine bzw. zu wenig Kenntnis über die deponierten Rückstände hat.
Initiative erhält keine Einblicke in Analyse
Die Bürgerinitiative Uns stinkt’s kritisiert, dass die Bezirksregierung Münster bei der Deponierung der Abfallmischung mit den giftigen Raffinerierückständen ein sogenanntes „privilegiertes Verfahren“ genehmigt hat. Bei diesen Verfahren führe die Behörde keine Kontrollen der Deponierfähigkeit, der Einhaltung der Vorgaben aus der Abfallverzeichnisverordnung oder der Analyseergebnisse durch, so die BI.
Die Bezirksregierung weist jedoch darauf hin, dass sie in diesem Verfahren jederzeit Einsicht nehmen kann in die Deklarationsanalyse des Entsorgungsunternehmen, also in die Untersuchungen des Abfallgemischs.
Die Forderung der BI auf Einblick in diese Analyse lehnt die Bezirksregierung Münster derzeit jedoch unter Verweis auf einen Rechtsstreit ab. Das die Raffinerierückstände verarbeitende Entsorgungsunternehmen habe Rechtsmittel gegen die Absicht des NRW-Umweltministeriums eingelegt, den Namen der Behandlungsanlage zu veröffentlichen. Hier gelte es zunächst eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuwarten, so die Bezirksregierung.
Das Fazit der Initiative: „Je tiefer man in die Entsorgungsverfahren und -strukturen eindringt, um so deutlicher wird, dass die Genehmigungsbehörden entweder völlig überfordert sind mit der Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Verordnungen und Regelungen zu überwachen und durchzusetzen oder sie durch Ignoranz, fachliche Defizite oder Mitwisserschaft schon Teil dieses Systems der Umgehung von gesetzlichen Vorschriften geworden sind.“
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Eine Verbesserung der Situation sei nicht zu erwarten, da alle bisherigen Verlautbarungen der Bezirksregierung immer darauf abzielten zu betonen, „man habe nach Recht und Gesetz zu handeln und man gehe davon aus, dass die Entsorgungsunternehmen sich ebenfalls so verhalten“. Den Behörden fehle das Problembewusstsein. Jäkel: „Es ist daher dringend geboten, dass das Umweltministerium den Aufsichtsbehörden klare Vorgaben für eine strengere Genehmigungspraxis, für eine intensivere Kontrolltätigkeit und ein umfassenderes Berichtswesen vorgibt“.