Herne. Viele Firmen nennen den Fachkräftemangel als großes Hindernis. Welche Probleme die Rekrutierung bringen kann, zeigt der Fall der Herner ISAP AG.

Es ist in vielen Bereichen nicht mehr wegzudiskutieren: Der Fachkräftemangel ist bei den Unternehmen angekommen. Doch die Behebung dieses Mangels kann zuweilen ein Marathon durch den Paragraphen- und Behördendschungel sein. Wie ein Fall beim Herner IT-Unternehmen ISAP zeigt.

Es war vor wenigen Tagen beim Jahresempfang der IHK Mittleres Ruhrgebiet. IHK-Präsident Wilfried Neuhaus-Galladé sagte: „Ich werde niemals begreifen, wie man als Unternehmer den Fachkräftemangel selbst verursachen kann, indem man nicht in den Nachwuchs und in neue Fachkräfte investiert. Ich halte dies für grundlegend falsch.“ An dieser Stelle horchte ISAP-Chef Norbert Assen auf. Er hatte in eine Fachkraft investiert - doch das war mit erheblichen Hürden verbunden.

Eine Frage: Wird der iranische Uni-Abschluss in Deutschland anerkannt?

Der Marathon begann im Sommer vergangenen Jahres. ISAP suchte händeringend einen Fachmann für Grafikdesign und Onlinemedien. Facebook, Twitter, Instagram - dem Unternehmen fehlte nach dem Abgang des bisherigen Hauptverantwortlichen für

ISAP-Chef Norbert Assen setzte viele Hebel in Bewegung, um Ali S. als Fachkraft zu gewinnen.
ISAP-Chef Norbert Assen setzte viele Hebel in Bewegung, um Ali S. als Fachkraft zu gewinnen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Grafikdesign und Onlinemedien das Personal, um alle Kanäle sinnvoll zu bedienen.

Der Zufall half: Denn der ISAP-Entwicklungsleiter, der aus dem Iran stammt, entdeckte über Facebook, dass sein Cousin Ali S., zu dem er Jahre keinen Kontakt hatte, ganz in der Nähe lebt - in Recklinghausen. Dieser war vor drei Jahren aus dem Iran geflohen, weil er zum Christentum konvertiert war. Im Iran hatte er 2016 sein Grafik- und Designstudium abgeschlossen. „Das passt genau zu dem, was ISAP benötigt“, so Assen. Nach einem ersten Kennenlernen stand fest: Mit seinen Fähigkeiten erfüllt der 32-Jährige genau das Anforderungsprofil von ISAP.

Ali S. hatte eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer begonnen

Doch schnell und unkompliziert einen Arbeitsvertrag unterschreiben - das funktionierte nicht. Das merkte Daniel Drissler, der bei ISAP für die Geschäftsentwicklung verantwortlich ist, recht schnell. So stellte sich die Frage, inwieweit der Uni-Abschluss von Ali S. in Deutschland anerkannt wird. Eine Abteilung der IHK prüfte und kam zu dem Ergebnis: Er wird mit Einschränkungen anerkannt. Ihm fehlten drei inhaltliche Module und acht Monate Berufserfahrung. Das Problem: Ali S., der den Flüchtlingsstatus „geduldet“ hatte, befand sich in einer Ausbildung zum Krankenpflegehelfer, die ihm die Agentur für Arbeit Recklinghausen vermittelt hatte - versehen mit dem Hinweis, dass es in seinem eigenen Bereich keine Stellen gebe...

Daniel Drissler verbrachte Monate damit, um mit Behörden zu sprechen und die Voraussetzungen für eine Einstellung zu erfüllen.
Daniel Drissler verbrachte Monate damit, um mit Behörden zu sprechen und die Voraussetzungen für eine Einstellung zu erfüllen. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Da er eine Anstellung bei ISAP in Aussicht hatte, kündigte Ali S. seine Ausbildung, die er kurz zuvor angetreten war, noch in der Probezeit. Doch es folgten Wochen mit zahllosen Telefonaten und Unsicherheit. So war die Frage zu klären, ob er seine fehlenden Module für die Anerkennung seines Abschlusses nicht bei ISAP absolvieren kann, doch davor stand die Frage der Arbeitserlaubnis. Denn nach dem Fachkräfteinwanderungsgesetz muss zunächst ermittelt werden, ob es keine deutschen oder europäischen ausländischen Bewerber für die entsprechende Stelle gibt.

Agentur für Arbeit lehnte Antrag auf Arbeitserlaubnis zunächst ab

Einen Ansatz, um die Nachqualifizierung fördern zu lassen und um Ali S. bei ISAP einzustellen, bot das Qualifizierungs-Chancengesetz, das Arbeitnehmer unterstützt, die sich umschulen lassen wollen. Doch um einen Antrag auf Förderung stellen zu können, musste Ali S. erst bei ISAP eingestellt werden. Das Unternehmen konnte ihn aber nicht einstellen, weil er auf Grund seines Flüchtlingsstatus keine Arbeitserlaubnis besaß. Mit der Zusage, bei ISAP eingestellt zu werden, kündigte dieser zunächst die Ausbildungsstelle und beantragte im Anschluss bei der Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitserlaubnis.

Beratung bei der Digitalisierung

Die ISAP AG wurde 1992 gegründet. Zu Beginn vermarktete das Unternehmen Konstruktionssoftware. Längst habe sich die ISAP AG vom Produktanbieter zum Lösungsanbieter entwickelt.

Das Unternehmen berät Kunden - viele sind mittelständische Maschinenbauer - bei allen Aspekten der Digitalisierung. Dazu gehören auch die neuen Möglichkeiten des 3D-Drucks.

Darüber hinaus hat ISAP aus einer internen Abteilung heraus die Intalogy GmbH gegründet, die unter anderem Hilfe bei der bei der Anpassung an das neue Datenschutzrecht bietet.

Doch der Antrag wurde abgelehnt. Begründung: Ali S. würde entsprechend seiner Qualifikation nicht angemessen entlohnt - was bei genauerer Betrachtung der Einschätzung seiner Anerkennung durch die IHK widersprach. Nach weiteren Aufklärungsgesprächen mit der Erläuterung, dass Ali S. erst im Zuge der Anstellung bei ISAP die Anerkennung seiner Qualifikation erreiche, erhielt er doch die Arbeitserlaubnis. ISAP hat ihn zum 1. Februar als Unqualifizierten eingestellt, seine fehlenden Qualifikationen holt er nun tatsächlich im Unternehmen nach - auch dank der IHK Mittleres Ruhrgebiet, die das Unternehmen tatkräftig unterstützt hat.

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ISAP-Chef Norbert Assen: Die staatlichen Stellen waren wenig hilfreich

Doch schon jetzt sei Ali S. eine Fachkraft, so Norbert Assen. Er sei vom ersten Tag an produktiv und erledige genau die Aufgaben, die ISAP benötige. In Zukunft werde er sicher auch Großprojekte stemmen können. Assen und Drissler ziehen nach all den Wochen und Monaten mit zahllosen Gesprächen und Telefonaten ein Fazit, das mit einer Prise Ironie versehen ist: „Wir könnten jetzt als Berater in diesem Bereich arbeiten.“ Und obwohl immer wieder über den Fachkräftemangel geklagt werde, seien die staatlichen Stellen bei der Einstellung von Ali S. wenig hilfreich gewesen.